Die Kirche muss den Heiligen Geist rufen

Die Christenheit lernt dazu. Nachdem im 20. Jahrhundert viele geistliche und charismatische Aufbrüche einerseits gescheitert sind, andererseits in individuellen Gruppen und in Pfingstkirchen das Feuer erhalten blieb, sahen einige Theologen wie Michael Böhnke die Geistvergessenheit der Großkirchen in einem Zusammenhang mit der Gottvergessenheit in der Gesellschaft. Die Kirche vergisst den Geist, stützt sich auf die Gesetze, verliert die Gläubigen, bekennt sich angesichts der Missbrauchsfälle nicht zu den Sünden und verdunkelt den Zugang zu Gott. Michael Böhnke setzt im Zentrum der Kirche an, in der Seele der Kirche, dem Heiligen Geist. Er merkt, dass die Kirche mit diesem Geist Gottes keinen Dialog führt. Eine geistige Katastrophe für das Christentum.

In seiner Untersuchung „Kirche in der Glaubenskrise“[1] weist er auf den evangelischen Kirchenrechtler Richard Sohm hin, der als erster das Auseinanderklaffen von Charisma und Recht, von Geist und Recht 1892 zum Thema machte: „Das Wesen der Kirche ist geistlich, das Wesen des Rechts ist weltlich. Das Wesen des Kirchenrechts steht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch.“ Er löste damit eine Diskussion mit Adolph von Harnack, dem evangelischen Reformtheologen, aus.
Richard Sohm: Die Kirche sei in der Urgemeinde eine rein charismatische Organisation gewesen. Charismatiker, von Gott geführt, haben die Kirche geleitet.[2] Diese charismatische Organisation ist labil und formlos. Im Katholizismus verband sich die Kirche mit dem Recht und bekam eine äußere Form. Durch die apostolische Sukzession konnte die Herrschaft der Bischöfe als Nachfolger der Apostel und als Repräsentanten von Jesus gesichert werden. Diese Amtsträger brauchen keine persönlichen Qualitäten, sie bekommen durch einen äußeren Rechtsakt die Leitungsgewalt. Dadurch wird der Glaubensgehorsam der Mitglieder zum Rechtsgehorsam und die geistliche Gemeinschaft wird zu einer Rechtsgemeinschaft.[3]

Richard Sohm reflektierte das Verhältnis von Charisma und Gesetz. Heute, 130 Jahre später, sind vor allem zwei Fragen zu klären: Gibt es nicht unterschiedliche, bunte charismatische Ausdrucksformen und gibt es nicht charismatische Führungsmodelle abseits rein rechtlicher Art? Hier setzt Böhnke an und bringt die Epiklese ins Spiel. Epiklese ist ein sperriges Wort, das im kirchlichen Bereich mir nur in der Liturgie bekannt war, wenn auf Brot und Wein der Heilige Geist herabgerufen wird. Epiklese wird bei Böhnke umfassender gebraucht. Es ist jeder Dialog mit Gott, in dem um seinen Geist gebeten wird und dieser Heilige Geist herabgerufen wird, [4] ja herabgefleht wird.

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