Medizinisch assistierter Freitod

Einleitung

Die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH), das Verbot der Beihilfe zum assistierten Freitodes aufzuheben, hat viele Christen, und nicht nur Katholiken, mit Befremden, teilweise sogar mit Entsetzen getroffen. Von einem Dammbruch zu sprechen ist unverantwortlich, wie ich zeigen werde. Wer schon vorher in aufgeklärte, vor allem auch akademische und intellektuelle Kreise hineingehört hat, konnte diese Entscheidung erwarten. Das Verbot der Beihilfe und die dem zugrunde liegende Ächtung des Freitodes berief sich nämlich auf historisch gewachsene kirchliche Vorstellungen vom Verhältnis von Gott zu seiner Schöpfung, die früheren Zeiten entstammten und so heute nicht mehr gelten. An ihre Stelle traten die Menschenrechte, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention Teil unserer Verfassung geworden sind, und damit war der Fall des Verbotes absehbar. Viele Menschenrechte berufen sich nämlich ganz wesentlich auf das Recht der freien Selbstbestimmung jedes Menschen (Autonomie), insoweit dieses nicht aus dem Schutz der Menschenrechte anderer Menschen eingeschränkt werden muss.

Die Entscheidung des VfGH war eine Grundsatzentscheidung und bedarf noch einer Ergänzung der bestehenden Gesetze und einer Abstimmung mit diesen, bevor sie rechtswirksam wird.

Unter medizinisch assistiertem Freitod versteht man die Bereitstellung einer tödlich wirkenden Substanz durch einen Arzt, um einem sterbewilligen Menschen den Freitod zu ermöglichen. Ich behandle hier ausschließlich diese Form eines assistierten Freitodes und verwende deshalb das Wort medizinisch nicht mehr. Im Folgenden stelle ich nun einige Überlegungen zu einer sittlichen Selbstverpflichtung und damit zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein derartiger Freitod ethisch und christlich verantwortet werden könnte, an.

Einstellung der katholischen Kirche

„Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen.“ (Katechismus der katholischen Kirche [KKK] Rz 2280) Daher ist jede Art von Freitod eine schwere Verfehlung gegen sich selbst, gegen den Nächsten und gegen Gott. (KKK Rz 2281)

Viele Menschen tun sich mit der Absolutheit dieser Norm im KKK und deren Begründung schwer, manche lehnen sie kategorisch ab. Die alleinige Verfügungsmacht Gottes über unser Leben ist eine aus der mittelalterlichen Theologie stammende Analogie. Über das Verhältnis von Gott zu Mensch sind nämlich nur analoge Aussagen möglich. Ausgangspunkt dieser Analogie war das Verfügungsrecht des Grundbesitzers über seinen Grundbesitz im mittelalterlichen Feudalsystem. Da der Grundbesitzer aber nicht die Möglichkeit hatte, seinen Grundbesitz allein zu bebauen, übertrug er die Nutzungsrechte seinem Vasallen. Diese Analogie Grundbesitz – Leben greift vor den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr.

In einer pluralistischen Gesellschaft ist es wahrscheinlich, dass der Rekurs auf Gott und seinen angeblichen Willen nicht mehr mehrheitsfähig ist, vor allem dann, wenn dabei die Gefahr der Ausschaltung der Vernunft besteht. Der Rekurs auf Gott reicht, in einer Ethikbegründung für alle Menschen, als Bibelpositivismus nicht aus und ist nicht für alle Menschen anschlussfähig. Und dass sich die Kirche mit den Menschenrechten schwer tut, weil sie teilweise mit der (nicht immer der Vernunft unterliegenden) Wahrheit ihrer Lehre nicht harmonieren, wissen wir.

Motive für einen assistierten Freitod

Diese könnten sein (exemplarische Aufzählung):

  • Unheilbare schwere Krankheit,
  • psychischer Schmerz über Tod der nächsten Bezugsperson,
  • Überforderung in den Lebensumständen durch Beruf, Pflege, Altwerden,
  • aussichtslose Lebenssituation durch finanziellen Ruin, unlösbare Beziehungssituation,
  • Lebenshingabe für einen Dritten (z.B. wegen Organtransplantation).
  • Es kann auch sein, dass beim Sterbewilligen der spirituelle Wunsch dabei ist, früher bei Gott zu sein.
  • Es kann auch sein, dass beim Sterbewilligen der altruistische Wunsch dabei ist, den Nächsten nicht mehr zur Last zur fallen.

Was könnte man unter sittlicher Selbstverpflichtung im christliche Sinn verstehen?

Es sollten vier Voraussetzungen beim assistierten Freitod eingehalten werden, und zwar:

(1) Der Sterbewillige hat eine schwere und unheilbare Krankheit und/oder unstillbare Schmerzen und/oder eine extrem reduzierte subjektive Wertschätzung des eigenen Lebens, zufolge der ihm das eigene Leben durch dauerhaftes Leiden, Verlust der Unabhängigkeit, schiere Hilflosigkeit und Einsamkeit als unwürdig und nicht mehr lebenswert erscheint.

(2) Dem Entschluss des Sterbewilligen zum assistierten Freitod ist eine Beratung und Aufklärung über Möglichkeiten der Lebenshilfe und alternative Maßnahmen (insb. Palliativmedizin) vorausgegangen.

(3) Der Sterbewillige hat seine sozialen und ökonomischen Beziehungen zu seinen Bezugspersonen und zur Gesellschaft verantwortet geregelt.

(4) Der Entschluss des Sterbewilligen zum assistierten Freitod erfolgt nach reiflicher Überlegung in freier und autonomer Entscheidung bei voller Urteilsfähigkeit, in Abwesenheit von geistiger Beeinträchtigung oder psychische Erkrankung und unter gesichertem Ausschluss jeder Verleitung oder Druckausübung von Seiten Dritter.

Der assistierende Mensch (Helfer) lädt mit seiner Hilfe für den Sterbewilligen große Verantwortung auf sich, weil er für die Einhaltung dieser vier Voraussetzungen einstehen bzw. sich entsprechend rückversichern können muss.

Resümee

Wie immer man über einen assistierten Freitod denkt, er wird nur in extrem wenigen Fällen unter sittlicher Selbstverpflichtung, also unter den oben erwähnten vier Voraussetzungen, für einen Menschen in Frage kommen, dann auch aus christlicher Sicht vertretbar sein und im konkreten Fall aus kirchlicher Sicht als eine Entscheidung unter Heranziehung von Epikie (Billigkeit) aufgefasst werden können. (Hier nehme ich Bezug auf Thomas von Aquin.) Wenn die Möglichkeit für einen assistierten Freitod so eng gefasst wird, wie ich glaube aufgezeigt zu haben, dann müsste Missbrauch und Geschäftemachen problemlos in Grenzen gehalten werden können und keine Gefahr eines slippery slope (Hineinrutschen) entstehen. Naheliegend wäre bei dieser Angst ein schlussendliches Zulassen der aktiven Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen), wie sie in den drei Benelux-Staaten straffrei gestellt wurde und wie sie für einen Christen ein sog. Gehtgarnicht darstellt. Für eine derartige Entwicklung sehe ich keinen Ansatzpunkt in Österreich, weil wir mit der passiven Sterbehilfe, der indirekten Sterbehilfe, der Palliativmedizin und nun mit dem assistierten Freitod genügend Möglichkeiten bieten, sein Leben ohne Tötung durch einen Dritten zu beenden.

Ein endgültiges Urteil über die Verträglichkeit des assistierten Freitodes gem. Strafrecht mit einem solchen mit sittlicher Selbstverpflichtung wird von der Gestalt des noch zu beschließenden Gesetzes und seiner Berücksichtigung der vier oben dargelegten Voraussetzungen abhängen. Dazu wird auch gehören, flapsig gesagt, einen Modetrend zum assistierten Freitod gar nicht aufkommen zu lassen.

Für viele Menschen geht es übrigens beim assistierten Freitod darum, in Autonomie diese Option ziehen zu können, und nicht darum, sich selbst dafür zu entscheiden.

Wolfgang Oberndorfer, Pressbaum

Zur Diskussion siehe: Stephan Ernst, Professor für katholische Theologische Ethik in Würzburg, Am Anfang und Ende des Lebens. Grundfragen medizinischer Ethik, Herder 2020, S 175 – 200

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