Glühender, überzeugter Christ.

Dr. Thomas Seiterich war 40 Jahre Redakteur der Zeitung Publik-Forum. Schwerpunkte seiner journalistischen Arbeit waren die Weltkirche und der Vatikan. So war er viel in Rom und in allen Kontinenten unterwegs. Seit dem Übergang in den Ruhestand kann er mehr bei seiner Frau in Ulm sein. Wir bringen ein Interview vom Katholischen Kirchenblatt Ulm mit dem geisterfüllten Journalisten.

KB: Unsere Kirche ist in vielen höchst unterschiedlichen Ländern der Welt beheimatet. Würde ihr da nicht mehr Vielfalt, Vielstimmigkeit guttun? Oder bedeutet das eine Gefährdung der Einheit?
Seiterich: Der Schweizer Kardinal Kurt Koch, der im Vatikan für die Ökumene unter den Christen zuständig ist, sagt: „Wir können uns in Rom nicht retten vor lauter neu entstandenen evangelischen Kirchen, die sich kürzlich von einer Kirche abgespalten haben. Die wollen dann einen je eigenen Dialogprozess mit Rom. Die Katholiken haben einen Papst, auf den sich so ziemlich alle beziehen. Durch sein Vorhandensein hält er die multikulturelle katholische Kirche zusammen. Das Papsttum verhindert, dass sich auch die diversen Katholiken in einem fort spalten. Zugleich lebt eine enorme Vielfalt in der katholischen Kirche.
KB: Und dennoch Einheit?
Seiterich: Professor Jörg Fegert aus Ulm, einer der großen Experten im Kampf gegen sexuelle  Gewalt an Kindern und Jugendlichen, und der Jesuit Hans Zollner, der ebenfalls Psychotherapeut ist und an der Päpstlichen Uni Gregoriana in Rom lehrt, entwickelten gemeinsam ein Programm zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt. Pater Zollner und seine Mitarbeiter sind dabei, das in der katholischen Kirche in allen Ländern in Gang zu setzen. Für die säkulare Forschung ist dieses interkulturelle „katholische“ Projekt so interessant, weil es keine andere Institution weltweit gibt, die so in verschiedenste Gesellschaften hineinreicht.
KB: Frohe Botschaft, befreiende Botschaft trotz allem, was es sonst gab?

Seiterich: Klar, an den Abgründen der Kirchen kann man verzweifeln – das tun viele. Doch ein Lichtblick: Auf einem Weltsozialforum in Nairobi wurde gefragt: Wer sind denn die Leute rund um fein abgestimmten Farben mit je eigenen überraschenden Tupfern und eine stimmige Hoffnungsharmonie mit markanten Zwischentönen. So lautet das Leitwort: „Zuversichtliche Glaubensgewissheit mit dem je gewissen Etwas.“ Ergebnis: Das sind die Kirchen, beileibe nicht nur die katholische, auch Buddhisten und Muslime. Ich habe erlebt: Die sozial sensiblen Kirchen sind eine ungeheure Hoffnungskraft in der Welt – ungeachtet der Krisen und Depressionserscheinungen, die wir in Deutschland haben.
KB: Welche Wege gibt es, durch die wir mehr lernen können von den Katholiken in anderen Ländern, Kontinenten?
Seiterich: Was mich sehr beeindruckt: Es gibt in so vielen Gemeinden seit vielen Jahren Menschen, die sich von der befreienden Botschaft haben öffnen lassen und sich engagieren. Das sind Leute, die zum ganz normalen Alltag hinzu etwas wagen: Die Begegnung mit Menschen, die ausgegrenzt sind und in Armut und Ausbeutung leben – hier oder in den armen Teilen der Erde. Auf diese Weise kommt man mit dem glühenden Kern des Christentums in Berührung. Man gibt, und man bekommt so viel.
KB: Glühender Kern des Christentums: Jetzt zu einer Aussage von Ihnen, die Sie beim Abschied von den Lesern in Publik-Forum gemacht haben: Als ein glühender überzeugter Christ bin ich 1980 zu Publik– Forum gekommen. Als ein glühender überzeugter Christ gehe ich nun mit 65 Jahren hinaus.
Seiterich: Ich habe als Austauschschüler mit damals 14 Jahren in Paris Arbeiterpriester und Arbeiterschwestern kennengelernt. Das hat mich zutiefst beeindruckt. Es war so anders als der liberale, gutbürgerliche Katholizismus in meiner Heimat Freiburg. Dann bin ich mit 16 Jahren 1971 erstmals in Taizé gewesen. Konzil der Jugend – da ging das Christentum ab wie eine Rakete, mit all dem Charisma dort. Später habe ich mit anderen in Frankfurt am Main eine Basisgemeinde gegründet, die seit 1978 äußerst lebendig ist. Jedes Mal, wenn wir uns treffen – zurzeit online – lesen wir gemeinsam Bibel, halten Fürbitte und tauschen uns aus über so vieles, das uns bewegt … Mein „Lieblingsdogma“ stammt aus dieser Erfahrungswelt und heißt: Das meiste Gute kommt von unten. Ich bin in Kriegen wie im Frieden großartigen Christinnen und Christen begegnet im Lauf meines Lebens: im Ostblock bei denen, die in Unterdrückung leben mussten, ebenso wie bei den Armen in El Salvador, oder in Australien unter den Ureinwohnern, denen das Wichtigste in der Bibel der Satz war: „Tausend Jahre sind vor Gott wie ein Tag.“ Ich bin dankbar. Und ich habe ganz viel Heimat in unserer nicht selten schlimmen, aber auch leuchtenden Kirche.
KB: Herzlichen Dank für dieses Glaubensbekenntnis!
Dr. Ulrich Mehling
Quelle: Katholisches Kirchenblatt Ulm Nr. 04/05, 69. Jahrgang, 24. Januar bis 06. Februar 2021

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