Rivalitäten wurden in vorchristlichen Zeiten und Kulturen mit Ausstoßen und Opfer besänftigt. Die Rivalen und Rivalinnen schlossen sich gegen einen oder eine zusammen und hatten untereinander Frieden. René Girard nennt diese Szenen den Sündenbockmechanismus. Der Friede wurde rituell in den Opferhandlungen wiederholend hergestellt. Die Menschenopfer wurden ersetzt durch Tieropfer und in Indien wegen der Wiedergeburtsvorstellung durch Pflanzenopfer. Die Opferpriesterschaft strukturierte die Gesellschaft mit ihren Gesetzen und ihrer Hierarchie.
Daneben gab es immer Eruptionen, wo durch den Sündenbockmechanismus einzelne oder Gruppen zu Opfern der Ausstoßung wurden. Das kann man bis in die Neuzeit verfolgen, wo Juden, Katharer oder Hexen von Christinnen und Christen ausgestoßen wurden. (Nebenbei bemerkt: Christinnen und Christen sollen sich jeden Tag neu bekehren und sich mit Gott kurzschließen.) Das Ausstoßen passiert heute noch, wenn Rohingyas aus Thailand vertrieben werden. Normalerweise wurde und wird den Ausgestoßenen und Ermordeten eine Schuld zugesprochen. Wir wissen mittlerweile, dass Mobbingopfer keine Schuld trifft.
Durch das Christentum wurde die Schuld der Menschen, die ausgestoßen wurden, tendenziell relativiert. Dadurch, dass Gott selbst als Mensch in einem Sündenbockmechanismus ermordet wurde, sah man einerseits genauer hin, ob die Schuld wirklich feststand und verbesserte die Gerichtsbarkeit. Andererseits wurde die Todesstrafe immer mehr angezweifelt. Jesus Christus identifiziert sich mit dem Menschen, der getötet wird. „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder oder meiner Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Der Verbrecher oder die Verbrecherin soll die Möglichkeit haben, zum Guten umzukehren.
Der Sündenbockmechanismus wurde in der modernen Gesellschaft immer mehr verunmöglicht. Die Ausgestoßenen und mit dem Tod bedrohten werden tendenziell als unschuldig gesehen. Dadurch haben die Menschen in ihren Rivalitäten aber keinen Ausweg. Sie sind in einer Situation, wo sie fest in die Rolle der Rivalen immer wieder zurückgeworfen werden. Einige schließen sich zusammen, um gemeinsame Gegner zu bekämpfen, aber sie können diese Gegner nie umbringen. Die modernen Staaten verbieten das. Die Menschen verharren in ihrem Rivalitätshandeln.
Wie kommt es zu diesem Handeln als Rivalen oder Rivalinnen? Wir Menschen fragen, was kann ich noch machen und sehen andere, die etwas anstreben und machen wollen. Einige sehen, dass einige erfolgreiche Politikberater oder Journalisten sein wollen. Sie ahmen dieses Begehren nach und wollen auch erfolgreiche Politikberater oder Journalisten sein. Ein Mann sieht, dass sein Freund eine Frau begehrt. In ihm erwacht auch das Begehren nach dieser Frau. Sie werden zu Rivalen, sodass der Wert der Frau stark steigt. Je näher und je knapper das Objekt der Begierde ist, umso stärker wird der Kampf, umso mehr ahmt die eine Person die Handlungen der anderen nach.
Unsere moderne Gesellschaft wurde zu einer Gesellschaft von Individuen, die sich rivalisieren.
Das Christentum hat hier eine Lösung in drei Punkten, indem es an der Wurzel ansetzt. Es sind zwei Impulse und eine Hilfe, die ich nennen möchte:
1. Impuls: Christinnen und Christen ahmen in ihrem Begehren Jesus, Maria, heilige Männer und Frauen nach. Diese können nicht zu Rivalen werden, weil sie schon gelebt haben. Sie sind entfernt oder wie Jesus der Sohn des Vaters und selbst Gott. Ignatius Von Loyola hat Heilgenbiographien gelesen und sich so bekehrt.
2. Impuls: Die Heiligen und Jesus begehren Gott, der kein knappes Gut ist. Christinnen und Christen begehren wie Jesus und die Heiligen mit Gott das Gute, Wahre und Schöne, den Himmel und die Herrlichkeit. Das ist kein knappes Gut. Dadurch wird darum nicht gestritten (außer bei christlichen Sondergruppen).
3. Die Hilfe: Die Hilfe ist der Heilige Geist, der die Verbindung schafft zwischen den Menschen, Jesus und dem Vater im Himmel. Er schafft Einheit und Eintracht in der Welt des Begehrens, indem er die Richtung schenkt, die Richtung auf Gott. Der Heilige Geist repräsentiert den anwesenden Gott, auch in der Geschichte, erfüllt die Herzen, schenkt Kraft, Gesundheit, Glück, Liebe, Frieden und Freude.
Das Christentum ist die Religion, die gegen den Sündenbockmechanismus und die Opferreligion auftritt, die Opfer tendenziell als unschuldig erklärt, die Todesstrafe tendenziell bekämpft und den Menschen in ihrem Begehren ein Ziel gibt: Gott und das Gute, Wahre und Schöne.
Der Heilige Geist verstärkt das Begehren nach Gott, er betet in uns und mit uns. „Wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern“ (Brief des Apostels Paulus an die Römer 8,26).