Fromme Juden betreten nicht den Tempelberg in Jerusalem mit der Al-Aksa-Moschee und dem Felsendom, weil dort der Tempel stand. Als ich in Jerusalem mit einer Pfarre war, ist uns gesagt worden, dass im Allerheiligsten die Herrlichkeit Gottes, die „kabod“ Gottes war. Wo dieses Allerheiligste stand, ist jetzt, nachdem die Römer 70 n. Chr. den Tempel zerstörten, unklar.
Deswegen wollen Juden nicht auf den Tempelberg, denn sie könnten in die Kabod steigen. Als der Tempel noch bestand, durfte nur der Hohe Priester in das Allerheiligste gehen. Er tat dies einmal im Jahr, am Versöhnungstag und betete das Versöhnungsgebet. Als ein Hoher Priester im Allerheiligsten starb, konnte er erst im Jahr darauf vom nächsten Hohen Priester herausgeholt werden. Seit diesem Vorfall wurden die Hohen Priester immer angeseilt, wenn sie das Gebet im Allerheiligsten verrichteten.
Der Fremdenführer erzählte uns, dass einige Rabbiner in der Steinformation der Klagemauer eine Taube sehen und damit die Kabod erkennen.
Seit einiger Zeit gibt es Christinnen und Christen, die in Jesus die Kabod erkennen, wenn sie von der Wohnung der Herrlichkeit unter uns lesen: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.“ (Johannes 1,14)
Vor allem die Theologin Uta Poplutz und die Theologen Jörg Frey und Jürgen Werbick haben dieses Zelten der Herrlichkeit in Jesus herausgearbeitet.[1] Jesus ist neben dem jüdischen Tempel der andere Ort der Gegenwart Gottes und damit der andere Tempel, wie er in Johannes 2,21 steht: „Er aber meinte den Tempel seines Leibes“ und es in 7, 37 interpretiert wird: Joh 7, 37-39: „Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.“
Dies verbindet Michael Böhnke mit dem Lanzenstich bei Joh 19,34: „Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus.“ Es fließen aus dem Sohn Gottes Ströme lebendigen Wassers zum Heil von uns Menschen.
Zur Zeit Jesu war die Herrlichkeit erkennbar an zwei Orten, im Allerheiligsten und in Jesus. Beides waren vergängliche Orte. Der Tempel wurde zerstört, Jesus wurde ermordet. Aber die Treue Gottes schafft für seine kabod, im Griechischen doxa, eine neue Wohnung. „Er findet sie nach Lukas und Paulus in den Herzen der Gläubigen, die dadurch zu Kindern Gottes werden.“[2]
Auch Jüdinnen und Juden haben eine Tradition der Einwohnung Gottes in der Welt, der Schechina.
Ich finde, die Wohnung Gottes kann an vielen Orten sein. Die Zusage haben wir Christinnen und Christen durch die Taufe und den Heiligen Geist. Diese Einwohnung der Herrlichkeit Gottes bei uns Christen beginnt mit dem Herabkommen des Heiligen Geistes zu Pfingsten. Es ist Erfüllung und Auftrag. Jesus sagt zum Abschied: Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. (Johannes 15,12)
„Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird. Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden. Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.“ (Johannes 14, 16-18; 16, 7.12-13)
[1] Wo wohnt Gott. In: Michael Böhnke, Geistbewegte Gottesrede. Pneumatologische Zugänge zur Trinität. Freiburg im Breisgau, 2021, S. 180-184.
[2] Michael Böhnke, S. 184