Die Kirchenkrise verschärft die Glaubenskrise
Die Gotteskrise und damit die Glaubenskrise ist nicht nur durch die Neuzeit und die Moderne ausgelöst worden. Es fehlte eine Besinnung der christlichen Kirchen auf die Dynamik, die der Heilige Geist der jungen Kirche durch Pfingsten gegeben hat. Gerade im römischen Reich war die Juristik, die Rechtswissenschaft, eine beherrschende Praxis, die von der Kirche übernommen wurde. Da ist die Wirkung der Theologen, die die Dynamik des Heiligen Geistes lehrten, wie Basilius der Große, im Laufe der Geschichte verpufft. Heute erleben wir die Auswirkungen der Ohnmacht des Heiligen Geistes gegenüber der Übermacht des heiligen Rechtes. Dabei wird von der Theologie immer wieder die Forderung nach Glaubenserneuerung gestellt, ohne zu erkennen, dass die Struktur der Kirche und ihr Kirchenrecht eine Form der Verkündigung darstellt. Kirche ist nach dem 2. Vatikanischen Konzil Zeichen und Werkzeug des Heils. Da sind die Liturgie, die Pastoral und das Kirchenrecht als Handlungen der Kirche von der Dynamik des Heiligen Geistes zu durchdenken.
Michael Böhnke arbeitet an einer grundlegenden Lehre über die Kirche und den Heiligen Geist. In seinem ersten Buch „Kirche in der Glaubenskrise“ schreibt er: Es mag sein, dass die Gotteskrise der Neuzeit, der Moderne und der Postmoderne die gegenwärtige Kirchenkrise erst ermöglicht hat. Zweifelsfrei jedoch hat die gegenwärtige Kirchenkrise die Gotteskrise verschärft.“[1]
Er erinnert an Bischof Stephan Ackermann und Thomas Söding, die sich zu den Missbrauchsfällen 2013 zu Wort meldeten. Ackermann: Täter hätten sich „gezielt die moralische Autorität des Priesteramtes zunutze gemacht, die psychische Wirkung von Riten wie Beichte oder Gebet benutzt, um Macht über Kinder zu gewinnen – bis dahin, dass Minderjährigen vorgetäuscht wurde(n), die Übergriffe seien Ausdruck ‚liebender Verbundenheit in Christus oder Auserwählung vor Gott‘“.[2]
Thomas Söding spricht in diesem Zusammenhang von praktischer Blasphemie: „Was aufzuarbeiten gilt, ist eine menschliche Katastrophe: Missbrauchte Macht, verratenes Vertrauen, ausgenutzte Schwäche. Was es aufzuarbeiten gilt, ist aber auch eine religiöse Katastrophe. Es geht um praktische Blasphemie: Gottes Heiligkeit wird angetastet; sein Wille wird pervertiert, seine Barmherzigkeit wird in den Dreck gezogen.“ [3]
Wie kann die Kirche Zeichen und Heil für jene sein, die „von kirchlichen Amtsträgern missbraucht und gedemütigt worden sind?“[4] Wie kann die Kirche zeigen, dass sie Heil durch ihr Handeln bewirkt?
Böhnke sieht, dass eine Lehre von der Kirche, eine Ekklesiologie, von ihrem Handeln (mit dem Heiligen Geist) auszugehen hat.
Zum Handeln gehört auch das kirchliche Recht. Die drei Gewalten Gesetzgebung (Legislative), ausführende Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative, unabhängige Richter) müssen streng getrennt werden und die Mitglieder müssen das Recht nach Mitbestimmung, Kontrolle, Information und Berufung haben. Solange die Rechte der Mitglieder nicht bestehen, kann die Übermacht des Rechts die Dynamik des Heiligen Geistes unterdrücken.
[1] Michael Böhnke, Kirche in der Glaubendkrise. Eine pneumatologische Ekklesiologie. Herder 2013. S. 15
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/missbrauch-in-katholischer-kirche-erschuetternde-ergebnisse-12028299.html (14.01.2021)
[3] Nichts wird geheim gehalten, außer damit es an die Öffentlichkeit kommt (Mk 4,22). Ein exegetischer Kommentar zur Aufklärung des Missbrauchsskandals von Thomas Söding. http://www.kath.ruhr-uni-bochum.de/imperia/md/content/nt/nichts_wird_geheim_gehalten1.pdf (14.01.2021) S.1
[4] Böhnke, S.16