Diese Vorlage des Synodalforums III „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ zur Zweiten Lesung auf der Vierten Synodalversammlung (8.-10.9.2022) wurde am 9.9.2022 (mit kleinen Änderungen) angenommen.
Große Mehrheit im Plenum, auch von 60 Bischöfen haben 45 dafür gestimmt. (10 dagegen und 5 enthalten). Das ist ein großer Erfolg!
Danach geht es um die Handlungstexte.
Quelle 1 des Abgestimmten Textes: https://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/SV-IV/SV-IV_Synodalforum-III-Grundtext-Lesung2.pdf
Quelle 2: https://www.synodalerweg.de/
1. Einleitung
„Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Diese ermutigenden Worte des Paulus sind für die sich hier anschließenden Überlegungen leitend. Trennungen nach Herkunft, Stand und Geschlecht sind in der Gemeinschaft, die sich zu Jesus als Christus bekennt, aufgehoben. Eine Konsequenz aus dem in der Taufe begründeten gemeinsamen Priestertum jedes einzelnen Christgläubigen ist die Teilhabe aller an der Sendung der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums in der Welt. Weil alle „einer in Christus Jesus“ sind, kann es keine allein im Geschlecht begründete Hierarchie bei der Übernahme von Diensten und Ämtern geben. Geschlechtergerechtigkeit im Sinne der biblisch überlieferten Weisungen Gottes in den sich verändernden kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten zu leben, kann künftig die Grundlage der Handlungsweisen in der Römisch-katholischen Kirche sein. Konkret bedeutet dies dann: Alle Getauften und Gefirmten erfahren unabhängig von ihrem Geschlecht Anerkennung und Wertschätzung ihrer Charismen und ihrer geistlichen Berufung; sie werden entsprechend ihrer Eignung, ihren Fähigkeiten und Kompetenzen in Diensten und Ämtern tätig, die der Verkündigung des Evangeliums in unserer Zeit dienen.
Die institutionelle, amtliche Kirchengestalt ist in jeder Zeit so zu formen, dass sie der Botschaft Gottes einen weiten Raum eröffnet, in den alle Menschen gerne eintreten möchten. Jede Handlungsweise, die gläubiges Vertrauen stärkt, die österliche Hoffnung begründet, Liebe erfahren lässt und dem Aufbau der christlichen Gemeinde dient, soll Anerkennung finden. Dem eigenen Empfinden nach von der amtlichen Christusrepräsentation ausgeschlossen zu sein, betrachten gegenwärtig viele Frauen als skandalös. Konstruktiv gewendet, wirkt dies anstößig und motiviert zum Handeln. Es ist im Sinne der Verkündigung des österlichen Evangeliums, zu der Jesus Christus auch Frauen von Beginn an berufen hat, eine Neuorientierung anzumahnen: Nicht die Teil- habe von Frauen an allen kirchlichen Diensten und Ämtern ist begründungspflichtig, sondern der Ausschluss von Frauen vom sakramentalen Amt. Grundlegend stellt sich die Frage: Was ist der Wille Gottes im Blick auf die Teilhabe von Frauen an der amtlichen Verkündigung des Evangeliums? Wer kann aufgrund welcher Kriterien beanspruchen, auf diese Frage für alle Zeiten eine Antwort geben zu können?
(Änderung: Die Lehre von Ordinatio sacerdotalis soll überprüft werden. )
Die Frage nach Diensten und Ämtern von Frauen in der Kirche Jesu Christi, insbesondere jene nach der Teilhabe auch von Frauen am sakramentalen Amt, lässt es neben dem Blick in Schrift und Tradition und auf das in diesen Quellen gegebene Potential für die Öffnung der Ämter für Frauen zudem auch erforderlich erscheinen, die „Zeichen der Zeit“ lesen zu lernen. Dazu gehört unabdingbar, die unterschiedlichen theologischen Positionen unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit zu reflektieren, dabei in einen engen Austausch mit den Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften und Humanwissenschaften zu treten und deren gendertheoretische Reflexionen konstruktiv aufzugreifen. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass es Menschen in der Römisch-katholischen Kirche gibt, die ihre geschlechtliche Identität nicht in der Unterscheidung von Mann und Frau angemessen aufgehoben erfahren. In unserem thematischen Kontext ist zu bedenken, dass aus Schrift und Tradition Vorbehalte gegen die Teilnahme von Frauen am sakramentalen Amt in Christusrepräsentation abgeleitet werden. Mit der kritischen Auseinandersetzung mit diesen Argumentationen geht die Offenheit für die mögliche Teil- habe aller Menschen am ordinierten Amt einher.
Es gibt viele Wege, sich dem formulierten Ziel der Geschlechtergerechtigkeit zu nähern. Hier wird eine argumentative Anstrengung gewählt: Die Erinnerung an Erfahrungen sexualisierter Gewalt und geistlichen Missbrauchs von Männern an Frauen motiviert zum entschiedenen Handeln, bei dem die Bereitschaft zur Umkehr im Mittelpunkt steht (Teil 2). Eine bibeltheologische Grundlegung der Argumentation ist erforderlich (Teil 3). Anthropologische, historische, systematisch- theologische und praktisch-theologische Argumente begründen die eingenommene Positionierung (Teile 4 und 5). Die Perspektiven für die Gegenwart der kirchlichen Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi sind angesichts der vorgetragenen Argumentation zu bedenken (Teil 6).
Zu allen hier angesprochenen Themenaspekten gibt es eine Fülle an Literatur weltweit. Dieser Beitrag zum Gespräch auf dem Synodalen Weg in der Römisch-katholischen Kirche in Deutschland ist mit der Perspektive verfasst, dass er weltkirchliches Gehör findet. Es ist zu wünschen, dass sich an allen Orten der Erde Menschen auf den Weg machen, gemeinsam in einen Dialog über die Anliegen und Erkenntnisse zu treten, die hier vorgetragen werden. Jede theologische Argumentation ist kontextuell verortet. In der Kirche von Deutschland hat die Wahrnehmung des geistlichen Missbrauchs und der sexualisierten Gewalt gegen Frauen und Mädchen Widerstände gegen Unrecht stark werden lassen und das theologische Denken mit hoher Dringlichkeit eingefordert.
2. Herausforderungen in unserer Zeit
2.1. Erschreckend: Geistlicher und sexueller Missbrauch sowie sexuelle und sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen
Die Ausübung von Gewalt gegenüber jeder Person ist zu verurteilen. Mädchen und Frauen sind als Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche bis zur jüngsten Zeit weitgehend unsichtbar geblieben. Erst seit kurzem richtet sich im deutschsprachigen Raum der Blick auch auf jene Betroffenen, die als Erwachsene im Raum der Kirche geistlichen sowie sexuellen Missbrauch erlitten haben. Vielen von ihnen fällt es schwer, ihre Geschichte zu erzählen. Zu den oft traumatischen und schambesetzten Erlebnissen kommt hinzu, dass ihnen häufig nicht geglaubt oder ihnen sogar eine (Mit-)Schuld am Erlittenen zugewiesen wird. Betroffene Frauen werden oft mit einer institutionellen „Nicht-Zuständigkeit“ konfrontiert, zum Beispiel durch Betroffenenbeauftragte, die darauf hinweisen, dass sie nicht für Erwachsene zuständig seien. Dadurch werden Betroffene erneut Opfer von Machtmissbrauch.
2.1.1 Gefahrenpotential in Lehre und System der Römisch-katholischen Kirche
Missbrauch geschieht in spezifischen Macht- und Geschlechterkonstellationen. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit von Kirche sowie der Gerechtigkeit, die Gruppe weiblicher Betroffener wahr- und ernst zu nehmen. Die Kirche ist denselben Gefährdungen ausgesetzt wie andere Gemeinschaften: Schwächen besonders vulnerabler Personen werden ausgenutzt, bestehende Un- gleichheiten verfestigt und Macht missbraucht. In der Kirche sind besondere systemische Faktoren zu beachten. Der spirituelle Missbrauch ist in vielen Fällen integrativer Bestandteil der Planung und Vorbereitung der sexualisierten Gewaltausübung. Besonderes Gefährdungspotenzial liegt in einer spezifisch römisch-katholischen, doppelten Asymmetrie: Wenn Priester den Miss- brauch begehen, sind sie als Kleriker mit geistlicher Autorität ausgestattet; als Männer kommt ihnen aufgrund ihres Geschlechts eine privilegierte Stellung zu. Die MHG-Studie hat einen bestimmen dominanten Habitus von Priestern als missbrauchsgefährdenden Klerikalismus identifiziert: Bei sexuellen und spirituellen Missbrauchstaten ist zu beobachten, dass kirchliche Amts- träger ihre eigene Person sakralisieren und ihre Taten damit legitimieren, dass sie im Namen Jesu Christi handeln. Betroffene berichten zudem davon, dass ihnen mit Verweis auf Maria eine unterwürfig dienende oder gar gefügige Rolle zugewiesen wurde, in der sie den Missbrauch still- schweigend hinzunehmen hätten. Im „Magnificat“ prophezeit jedoch eine selbstbestimmte, mutige und starke Frau – Maria – den Umsturz der Herrschaftsverhältnisse. Solange Frauen noch immer mit dem Bild der Eva als Verführerin identifiziert werden, scheinen sie verantwortlich für das Handeln der Männer, die der Verführung scheinbar wehrlos gegenüberstehen. Vielfach sind es Täter-Opfer-Umkehrstrategien, die im Missbrauchskontext dazu führen, dass sich Mädchen und Frauen für ihre Missbrauchserfahrungen schämen, weil sie sich schuldig fühlen und ihnen eine Mitschuld am Geschehenen suggeriert wird – ein Geschehen, das sie weder gesucht, noch provoziert, noch aktiv gestaltet haben.
In vielen Kontexten des Missbrauchs im Raum der Kirchen waren und sind neben männlichen Entscheidungsträgern auch Frauen Täterinnen, Mitwissende, Vertuscherinnen. Im Hinblick auf Aufarbeitung und Prävention ist dies in den Blick zu nehmen. Es gibt auch Verhaltensweisen von Christinnen und Christen, die die Dominanz von Männern im Klerus stützen und, beispielsweise
durch eine devote Haltung Amtsträgern gegenüber, die Gefahr des spirituellen und sexuellen Missbrauchs fördern.
2.1.2. Gefahrenpotential in Seelsorge und Feier der Sakramente
Seelsorgliche Handlungen und die Feier der Sakramente sind als Formen menschlicher Kommunikation immer sinnenhaft beispielsweise bei Handauflegungen, Salbungen, Austeilung von eucharistischen Gaben und Segensgesten. Diese Handlungen sind von wertzuschätzender Bedeutung, sie bilden jedoch auch ein Gefahrenpotential. Spiritueller und sexueller Missbrauch geschieht häufig im Kontext von Feiern der Sakramente oder in anderen Situationen der Seelsorge. In Seelsorgebeziehungen besteht ein komplexes Macht- und Abhängigkeitsverhältnis, das in der professionellen Rolle der Seelsorgeperson begründet liegt. In Situationen der Seelsorge besteht die Gefahr, körperliche, emotionale, spirituelle oder psychische Übergriffe und Manipulation zu begünstigen. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist die Tatsache, dass in spezifischen pastoralen Situationen Mädchen und Frauen vorwiegend männlichen Seelsorgern begegnen, eine herausfordernde Problematik. Vor allem der Männern vorbehaltene amtliche Dienst in der Feier des Sakraments der Versöhnung wurde missbraucht; der Beichtstuhl wurde für nicht wenige Mädchen und Frauen zum Ort des Grauens. Erzählungen von betroffenen Frauen legen offen, wie sehr durch den erlittenen Missbrauch ihr Glaube beschädigt wurde. Jede weitere liturgische Feier kann dann erneut traumatisierend wirken. Den Betroffenen bleibt so eine wichtige Quelle der Resilienz verwehrt. Es gibt keinen Raum, in dem Frauen die sakramentalen Feiern der Ver- söhnung und der Krankensalbung gestalten.
2.1.3 Gefährdungen von Frauen in kirchlichen Dienstverhältnissen
In vielen kirchlichen Bezügen, insbesondere im Bereich der Seelsorge, sind Frauen in verantwortlichen Positionen unterrepräsentiert. Das gilt auch für Frauen in leitenden Tätigkeiten im Ehrenamt. In dieser Struktur haben viele von ihnen mit einem alltäglich erfahrbaren Sexismus zu tun, der nicht selten von Frauen durch männliche Vorgesetzte zu erleiden ist. Das Verhältnis zwischen Nähe und Distanz ist nicht leicht angemessen zu regulieren. Klerikaler Machtmissbrauch demütigt Frauen im Haupt- und im Ehrenamt. Diese Diskriminierungen verstärken den Wunsch von Frauen, selbst die Leitung in seelsorglichen und sakramentalen Kontexten zu über- nehmen. Solches Ansinnen von Frauen wird häufig als illegitime Machtanmaßung diffamiert, ohne zugleich einzugestehen, dass die bestehenden Konstellationen gerade solche Machtverhältnisse implizieren.
Bei der Beschreibung der Motivation von Frauen, Dienste und Ämter in der Kirche zu übernehmen und zu gestalten, sind Differenzierungen vorzunehmen. Es liegt aus der Position der Amtsinhaber heraus nahe, auf die zu blicken, die ihnen gleichgestellt werden wollen. Dieser Blick verändert sich, wenn Offenheit für die Erkenntnis erreicht wird, dass viele Frauen nicht ein ihnen bisher verwehrtes Amt anstreben, sondern aus reiner Freude an der Verkündigung des Evangeliums ihre eigenen Charismen achten, sich von Gott berufen erfahren und in der Glaubensgemeinschaft einen Dienst tun möchten.
2.2 Erkenntnis: Geschlechtergerechtigkeit im gesellschaftlichen Gespräch
Der Gerechtigkeitsanspruch betrifft alle Arten sozialer Beziehungen und Verhältnisse, also auch Geschlechterbeziehungen und gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse. Geschlechtergerechtigkeit ist gegeben, wenn jede Person im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit bzw. -identität gleiche Rechte und gleiche Chancen der Teilhabe an Gütern und des Zugangs zu Positionen hat und dadurch ein selbstbestimmtes Leben führen kann.
Europäische Traditionen in Philosophie, Theologie und Politik führten im christlichen Zeitalter zu einer Identifizierung des Menschlichen mit dem Männlichen und damit zu einer androzentrischen Geschlechterordnung. Die damit verbundene Hierarchisierung hat bis heute zur Folge, dass alle „nicht männlichen“ Menschen immer wieder die universelle menschenrechtliche Gleichheit einfordern müssen. So braucht es Vereinbarungen wie die Europäischen Menschenrechtskonvention (insb. Art. 14, Diskriminierungsverbot) sowie Strategien, die zum Abbau von geschlechtsbezogenen Ungleichheiten und damit zur Geschlechtergerechtigkeit führen.
Das in Deutschland gültige Grundgesetz stellt in Artikel 3 die fundamentale Gleichheit aller Menschen fest, unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Sprache, Behinderung, Heimat und Herkunft, Glaube, religiösen oder politischen Anschauungen. Daher fördert der Staat „die tat- sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ (Grundgesetz, Art. 3, Abs. 2). Um dem nachzukommen, werden beständig weitere detaillierte Regelungen getroffen, um noch immer bestehende Missachtungen der Geschlechtergerechtigkeit zu überwinden. Die bestehende Situation ist immer noch kritikwürdig; es bedarf stets neuer Veränderungen und Anpassungen.
Im gesellschaftlichen Gespräch finden sich unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie Geschlechtergerechtigkeit aussehen könnte und sollte. Gesellschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise Globalisierung, Migration, Europäische Integration, Pluralisierung von Lebensformen, demografischer Wandel oder soziale Bewegungen ermöglichen vielfältige Perspektiven auf das Thema. Es ist etwa zu bedenken, dass nicht alle Frauen unter ein „Wir“ zu fassen sind; exemplarisch seien Migrantinnen, Schwarze Frauen, Jüdinnen, Lesben oder Frauen mit Behinderung genannt. Weltweit und auch in Deutschland machen sie die Erfahrung, dass sie jenseits der Frage nach ihrer geschlechtlichen Identität als „die Anderen“ betrachtet werden. Eine differenzierte Analyse der Art und Weise, in der (nicht nur) über das Geschlecht Ungerechtigkeit erzeugt, erfahren und begründet wird, ist zwingend notwendig.
Geschlecht ist daher – im Sinne von Gender – mehrdimensional zu sehen. Das soziale bzw. sozialkulturelle Geschlecht, wie es sich jeweils darstellt bzw. in einem bestimmten kulturellen Kontext als selbstverständlich gilt, ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses. Damit wer- den die vielfältigen Differenzen innerhalb der Geschlechter ernst genommen. Zugleich ist vor diesem Hintergrund die Frage nach der Zweigeschlechtlichkeit auf der Grundlage von Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen mit neuer Sensibilität zu stellen.
In der Rede vom Geschlecht des Menschen werden Urteile über – oft als biologisch bedingt betrachtete – unterschiedliche, androzentrisch definierte Eigenschaften, Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse von Frauen und Männern getroffen. Sie werden zur Argumentationsgrundlage
für die Bestimmung des Verhältnisses der Geschlechter sowie für die Begründung ihres vermeintlich gerechten Platzes in der Gesellschaft. Um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, ist somit vor allem das jeweilige Verständnis des Geschlechterverhältnisses zu diskutieren. Dabei gibt es Positionen, die stärker die Differenz der Geschlechter hervorheben. Andere betonen die Gleichheit der Geschlechter vor ihrer Unterschiedlichkeit. Zudem finden sich Ansätze, die ein denk- bares Zueinander von Differenz und Gleichheit herausarbeiten.
Die Position der Differenz wurde in der bürgerlichen Gesellschaft als Modell der Komplementarität der Geschlechter ausgebildet. Es geht davon aus, dass das Weibliche das Männliche ergänzt, oder tendiert sogar dazu, das Weibliche dem Männlichen unterzuordnen. Als eine Antwort auf die Annahme dieser hierarchisch-patriarchalen Ordnung der Geschlechter findet sich im Feminismus eine positive Neubewertung weiblicher Werte und Lebensweisen und damit traditioneller Geschlechtsrollen und Charaktere. Eine solche an sich positive Sichtweise, nach der Frauen ein eigener Bereich in der Gesellschaft zugewiesen oder von ihnen selbst beansprucht wird, birgt jedoch auch Gefahren: Sie kann beschwichtigend wirken und die Kritik an der bleibenden Gel- tung herrschender Machtverhältnisse vernachlässigen.
Demgegenüber wendet sich die insbesondere in soziologischen Konzepten vertretene Gleich- heitsposition gegen traditionelle Geschlechtscharaktere und Geschlechtsrollen, Androzentrismus und die unterschiedlichen Formen von Sexismus. Ziel des Gleichheitsansatzes ist die Teil- habe von Frauen an den männlich dominierten Bereichen, in denen Macht, Wohlstand und Prestige verteilt werden. Er tendiert jedoch dazu, Gerechtigkeit auf formale Gleichheit zu reduzieren und die kulturell und gesellschaftlich bestehenden Differenzen der Geschlechter zu abstrahieren. Zudem ist zu bedenken, dass sich durch spezifische Frauenfördermaßnahmen als Strategie des Erreichens von Gleichheit ein Dilemma ergeben kann: Sie können die Stigmatisierung von Frauen als defizitärem Geschlecht festschreiben.
In den Ansätzen, die die sich aus diesen Positionen ergebenden Dilemmata zu überwinden suchen, werden Gleichheit und Differenz zueinander in Beziehung gesetzt. Die Forderung nach Gleichheit hat ihren Ausgangspunkt darin, dass das zu Vergleichende verschieden ist. Diesem Ansatz liegt die Vorstellung vom Subjekt als autonomem, selbstidentischem Individuum zugrunde: Es gibt nicht die Frau und auch nicht den Mann. Die Vielfalt der Lebenskontexte und der Lebensgestaltungen haben bei der Bestimmung von Geschlechtergerechtigkeit ebenso wie die individuelle Erfahrung Bedeutung und eigenen Wert. Dieser Ansatz stellt vor eine schwierige Aufgabe: Die Prinzipien der Differenz und der Gleichheit sind miteinander zu verbinden: Weder kann Differenz wesenhaft begründet, noch kann Gleichheit ohne Heterogenität gedacht werden. In der Konsequenz zu diesem Gedanken liegt es, jeden Menschen als eine eigene Persönlichkeit wahrzunehmen und dessen Charismen zu achten.
Angesichts der gesellschaftlichen Transformationsprozesse wie des aktuellen Wandels der Wirtschafts-, Arbeits- und Lebenswelt stellt sich die Frage nach Geschlechterverhältnissen und Geschlechtergerechtigkeit auch weltweit immer wieder neu. Ihre Beantwortung steht in einem engen Zusammenhang mit der Befragung der je herrschenden Verhältnisse und hat Auswirkungen auf Möglichkeiten und Chancen einer geschlechtsunabhängigen Wahrnehmung aller Funktionen, Ämter und Berufe in der Gesellschaft wie auch in der Kirche. Rollenzuschreibungen im Rahmen einer auf das vermeintlich natürliche Wesen der Geschlechter hin orientierten Polarität
werden in der heutigen Gesellschaft vielfach sehr kritisch angefragt; im kirchlichen Kontext fehlt diesbezüglich nicht selten die Rezeption.
2.3 Diagnose: Umfassender Reformbedarf
Angesichts des Erschreckens über geistliche und sexualisierte Gewalt an Frauen und angesichts der anhaltenden Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen in der Römisch-katholischen Kirche sind ein Schuldeingeständnis und eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung dringend geboten.
Das Zweite Vatikanische Konzil sagt über die Kirche: „Sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung.“ (2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 8). In Zusammenhang mit dieser grundlegenden Aussage des Konzils wird der Unterschied zwischen Jesus Christus, „der keine Sünde kannte“ (2 Kor 5,21), und allen anderen Menschen beschrieben, die der Versuchung zur Sünde ausgesetzt sind und ihr erliegen – Männer wie Frauen. In der sakramentalen Grundstruktur der Kirche besteht ein Verhältnis der Analogie
– Ähnlichkeit bei größerer Unähnlichkeit – zwischen der Menschwerdung des göttlichen Logos in Jesus Christus und dem Wirken des Heiligen Geistes im gesellschaftlichen Gefüge der Kirche, das über Generationen hinweg in Schuld verstrickt ist. In jeder Zeit ist es der Kirche aufgetragen, sich am Leitbild ihres apostolischen Ursprungs zu erneuern und die Verkündigung der österlichen Botschaft als ihre Sendung zu leben.
Das vom 2. Vatikanischen Konzil erinnerte „gesellschaftliche Gefüge der Kirche“ (2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 8), in dem Gottes Geist wirkt, wird in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem auch durch die Gestaltung von Diensten und Ämtern in der Kirche bestimmt, die Menschen innehaben. Auch aus theologischer Perspektive gilt: Ihre sichtbare Gestalt gewinnt die Kirche vor allem in den liturgischen Feiern, in der Katechese und in der Diakonie. Die dort wirkenden Verantwortlichen werden an einem hohen Maßstab gemessen: immer und immer wie- der näherungsweise Jesus Christus als den einen Grund kirchlichen Handelns zu repräsentieren.
Woran erkennen Menschen die Gegenwart Jesu Christi in seinem Heiligen Geist? Die Mahnreden von Paulus sind klar in der Aussage: Persönliche Ruhmsucht darf es nicht geben (vgl. 1 Kor 1,29- 31). Begabungen und spirituelle Haltungen zeichnen Menschen in der Nachfolge Jesu aus: Versöhnungsbereitschaft, Güte, Demut, Ausdauer, Aufmerksamkeit aufeinander, Zeit füreinander und so vieles mehr an Gutem. Die Kennzeichen der Liebe, die Paulus in 1 Kor 13 nennt, sind das beständige Reformprogramm aller Kirchen.
Viele Menschen messen (auch) heute die Kirche am Verhalten der leitend tätigen Personen. Dabei ist es für die meisten gegenwärtig unerheblich, ob ein Mann oder eine Frau als Repräsentant oder Repräsentantin der christlichen Kirche in Erscheinung tritt. Wichtig ist vor allem, dass die Personen in leitenden kirchlichen Diensten immer wieder so zu leben versuchen, wie Jesus Christus es getan hat.
3. Biblische Grundlegung
In den biblischen Schriften finden sich unterschiedliche Bilder vom Menschen. Die jüdische und die christliche Exegese der letzten Jahrzehnte haben erkannt, in welch hohem Maße in der Bibel
zur Sprache kommt, welch vielfältige Dienste Frauen innehatten. Zudem hat die Exegese her- ausgearbeitet, wie antike Gesellschaftsstrukturen biblische Texte und ihre Überlieferung, aber auch die Entwicklung von Ämtern und Diensten selbst beeinflusst haben.
3.1 Die Gottebenbildlichkeit aller Menschen in der Schöpfung
Der erste Schöpfungsbericht betont die Gleichheit der Geschlechter: Der Mensch ist in erster Linie als menschliches Abbild Gottes (lebendige Gottesstatue) geschaffen worden, Gott ähnlich. Erst danach heißt es, dass es eine männliche und eine weibliche Variante gibt (vgl. Gen 1,26- 27). Der Text richtet sich gegen die vielgestaltige Götter- und Göttinnenwelt der Antike. Die eine Gottheit ist nicht menschengestaltig (anthropomorph), Menschen sind aber sehr wohl gottgestaltig (theomorph), unabhängig vom Geschlecht.
Vor allem im antiken Ägypten galt der König – manchmal auch die Königin – als menschliches Abbild einer Gottheit. Gen 1,26-27 überträgt dieses königliche Privileg auf alle Menschen. Die Gottgestaltigkeit aller Menschen besteht darin, Gottes Willen auszuführen und das Gemeinwesen gemeinschaftlich zu ordnen (vgl. Gen 1,28), unabhängig von sozialer Herkunft oder Geschlecht. Diese egalitäre Ordnung wird in Gen 1,31 von Gott selbst als „sehr gut“ bewertet.
3.2 (Sexuelle) Gewalt gegen Frauen in der Bibel
Biblische Texte erzählen nicht nur von dem ursprünglich guten Zustand der Welt. Sie zeigen auch zahlreiche Brüche im Gottes- wie Geschlechterverhältnis. In vielen Fällen setzen sie die Unterordnung von Frauen stillschweigend voraus, bis in sexuelle Verhältnisse hinein. Andererseits machen sie immer wieder auf die Problematik dieser Geschlechter(un)ordnung aufmerksam.
Das Erbrecht behandelt ausschließlich die Frage, welche Söhne berücksichtigt werden (vgl. Dtn 21,15-17). Frauen werden als Zeuginnen vor Gericht nicht genannt (vgl. Num 35,30), eine Eheschließung gilt meist als ein Arrangement unter Männern, bei dem Frauen als mobiles Gut den Besitzer wechseln (vgl. z.B. Gen 29,1-30; Tob 7,9-17). Frauen sind strukturell mehrfach benachteiligt und damit für Machtmissbrauch besonders anfällig. Die Heilige Schrift kennt auch den besonderen Machtmissbrauch durch sexuelle Gewalt, verurteilt ihn aber scharf. Sie deckt auf, dass derartige Gewalt durch den Begriff „Liebe“ getarnt werden kann, zum Beispiel im Falle der Dina (vgl. Gen 34,3) oder der Tamar (vgl. 2 Sam 13,1).
Mehrere prophetische Texte schildern, wie eine Frau als Strafe ausgezogen und öffentlich gedemütigt wird. Derartige Szenen gelten als Metaphern für die Zerstörung des Königreichs Juda (vgl. Jer 13,15-27), des Nordreichs Israel (vgl. Hos 2-3) beziehungsweise der Städte Jerusalem und Samaria (vgl. Ez 23; 16, Klgl 1,8-9). Dies geht bis hin zur Vergewaltigung, die in diesem Bild als Strafe für vorehelichen Geschlechtsverkehr (vgl. Ez 23,3), Ehebruch (vgl. Jer 13,27; Ez 23,4- 8.11-27) und Hochmut (vgl. Jes 47,7-8) gilt. Die Nichteinhaltung sexueller Normen steht metaphorisch für Kultpraktiken, die den Propheten zufolge strafwürdig sind. Die Strafe – im Bild die Vergewaltigung, in der Realität die Eroberung und Zerstörung der Stadt bzw. des Landes – er- scheint somit als folgerichtig und gerecht.
Die biblisch überlieferten Szenen belegen eine fatale Grundhaltung, bei der Missbrauchsopfern die Schuld an ihrem Missbrauch zugewiesen wird. Eine solche Haltung hindert viele Opfer bis heute daran, die erlebte Gewalt zu thematisieren oder anzuzeigen.
Es verbietet sich, einen dieser prophetischen Texte im Zusammenhang mit dem Missbrauch in der Kirche zu verwenden. Sie sind als Traumatexte männlicher Kriegsopfer zu verstehen, in denen die selbst erlebte Verletzung und Ohnmacht durch Gewaltfantasien gegen Frauen kompensiert wird. Allerdings wiederholen und verstärken sie damit gewalttätige und sexistische Stereotype.
Umgekehrt zeigt die Heilige Schrift an mehreren Stellen, wie Frauen auch in der größten Ohnmacht handlungsfähig bleiben. Nachdem Tamar von ihrem Halbbruder Amnon vergewaltigt wird, widersetzt sie sich der Aufforderung zur Vertuschung und macht durch rituelle Trauer ihre Verletzung und Trauer öffentlich (vgl. 2 Sam 13,1-22). Susanna kann eine Nötigung zum Geschlechtsverkehr knapp abwenden. Während des anschließenden Gerichtsprozesses wird sie von den Tätern in einer Schuldumkehr als Ehebrechern verleumdet und darf ihre Version nicht schildern. Sie wendet sich an Gott als ihren einzigen Verbündeten. Der hilft ihr durch die Person des Daniel, der ihre Unschuld bezeugt und sie somit ins Recht setzt (vgl. Dan 13).
Ein positives Gegenbild anderer Art zeichnet das Hohelied, das eine unschuldige, gewaltlose, konsensuale Beziehung auf Augenhöhe schildert.
3.3 Patriarchat, Kyriarchat und dessen Umkehrung in der Heiligen Schrift
Die gewaltaffine Gesellschaftsordnung, in der die biblischen Texte entstanden sind, wird oft als
„Patriarchat“ (Väterherrschaft) bezeichnet. In der Exegese und in weiteren Fachbereichen setzt sich allerdings zunehmend die Bezeichnung „Kyriarchat“ (Herrschaft eines Herren) durch. Ge- meint ist, dass an der Spitze eines Gemeinwesens ein einziger Mann (kyrios) steht, dem sich alle unterzuordnen haben, Frauen wie Männer. Dies trifft im allgemeinen auf das „Haus“ zu, die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft einer Großfamilie. Dies gilt aber ebenfalls für das politische Gemeinwesen, dem ein König vorsteht, oder für das Tempelpersonal, an dessen Spitze der Hohepriester steht. Bestimmte Frauen können in dieser Ordnung durchaus Einfluss ausüben – zum Teil auch über sozial schlechter gestellte Männer, dies jedoch stets in Unter- und Zuordnung zu dem einen Mann an der Spitze (vgl. z.B. Batseba in 1 Kön 1,11-31).
Während die Heilige Schrift diese kyriarchale Ordnung an vielen Stellen selbstverständlich voraussetzt, enthält sie auch Impulse, die diese Ordnung durchbrechen. Im Alten Testament sind es die Erzmütter sowie zahlreiche Frauen, die das Volk Gottes als Prophetinnen und Richterinnen leiten (vgl. z.B. Debora in Ri 4-5). Die Töchter des Zelofhad fordern das Erbe ihres Vaters ein und erhalten es (vgl. Num 27,1-11).
Zu nennen sind außerdem die Nicht-Israelitinnen, die im Stammbaum Jesu (vgl. Mt 1,1-17) eigens erwähnt werden, obwohl sonst das Hauptaugenmerk auf der männlichen Abstammungslinie liegt. Auch im Verhalten Jesu wird sichtbar, dass er die Prinzipien des Kyriarchats unterläuft und aufhebt. Immer wieder verweist er auf den himmlischen Vater und Herrn, unter dem alle Menschen zu gleichberechtigten Geschwistern werden. Er brüskiert seine leibliche und soziale
Familie und initiiert stattdessen eine neue, gleichberechtigte Gottesfamilie nach himmlischen Maßstäben (vgl. Mt 12,49-50).
Es gibt im Alten Testament keine Erwähnung von Priesterinnen. Während an anderen Orten der Antike Priesterinnen belegt sind, trifft dies auf Jerusalem nicht zu. Als mögliche Gründe werden unter anderem rituelle Reinheitsvorschriften angenommen, die Frauen zeitweise aufgrund der Kultunfähigkeit während der Menstruation von kultischen Handlungen ausschließen (vgl. Lev 15,19-30). Möglicherweise spielen auch Heirats- und Gebärtabus eine Rolle. All dies bleibt aber Spekulation, denn biblisch begründet wird das Nicht-Vorhandensein von Priesterinnen nicht.
Im Neuen Testament wird der typische griechische Begriff Hiereus (Priester) nie für Dienste oder Ämter in den frühchristlichen Gemeinden verwendet. Der Hebräerbrief erklärt, die Christgläubigen haben (nur) einen Hohepriester, nämlich Jesus Christus (vgl. Hebr 3,1; 4,14; 5,10). Im Buch der Offenbarung wird der Begriff des Priesters als Würdetitel für alle Getauften verwendet (vgl. Offb 1,6; 5,10; 20,6). Daran knüpft die Lehre vom gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen an. Menschen, die zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben, sind „ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft“ (1 Petr 2,9).
3.4 „Die Zwölf“ und „die Apostel“ – nicht deckungsgleich
Häufiger und wirkmächtiger als der Priester-Begriff sind in den neutestamentlichen Schriften Begriffe wie „Apostel“, „die Zwölf“, „Presbyter“, „Diakon“ und „Episkopos“. Man muss zunächst unterscheiden zwischen dem, was man dem historischen Jesus zuschreiben kann und dem, was in nachösterlicher Zeit geschah. Beides ist uns nur durch die später entstandenen Texte der Evangelien zugänglich. Dazwischen ist Paulus anzusiedeln, der schon vor der Entstehung der Evangelien an die Gemeinden außerhalb Palästinas schreibt. In seinen Briefen spiegelt sich somit der älteste urchristliche Sprachgebrauch von „Apostel“. Dieser unterscheidet sich von dem des Lukas, der – nach dem Tod des Paulus – mit seinem Evangelium und der Apostelgeschichte ein Doppelwerk verfasst, das speziell das Anliegen der historischen Kontinuität zwischen dem vor- österlichen Jesus und der nach Ostern entstehenden Kirche betonen will. Das Verständnis dessen, was ein Apostel, eine Apostelin ist, verändert sich also innerhalb dieser Zeit.
Zunächst zum historischen Jesus: Markus, der älteste Evangelist, berichtet, dass Jesus zwölf Männer erwählte und sie einsetzte, „damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden und mit Vollmacht Dämonen auszutreiben“ (Mk 3,14). Diese Zwölf weisen auf die zwölf Stämme Israels hin und damit auf den Anspruch Jesu, das neue Israel zu sammeln (vgl. Lk 22,28–30; Mt 19,28). Da die Begründer der zwölf Stämme Israels gemäß dem kyriarchalen Prinzip der geltenden Gesellschaftsordnung männlich waren, konnten auch die zeichenhaft berufenen Repräsentanten des neuen Israels nur männlich sein, andernfalls wäre das Zeichen nicht verstanden worden. Nun spricht Paulus in der nachösterlichen Zeit der Urkirche in seinen Briefen mehrfach von einem Kreis der Apostel (vgl. Röm 16,7; 1 Kor 9,5; 15,9; Gal 1,17.19). Dieser war jedoch, so die Forschung, nicht mit dem von Jesus vor Ostern berufenen Zwölferkreis identisch.
„Apostel“ im paulinischen Sinn waren vielmehr solche Menschen, die sich auf eine Begegnung mit dem Auferstandenen berufen konnten und sich von ihm als gesandt erfuhren; deshalb be- zeichnet sich Paulus selbst als Apostel (vgl. 1 Kor 9,1; Röm 1,1; 1 Kor 1,1). Das urchristliche
Credo in 1 Kor 15,3–7 unterscheidet klar zwischen „den Zwölf“ und „allen Aposteln“. Zu letzte- ren gehörten auch Frauen, von denen einige in den Evangelien namentlich erwähnt werden. Frauen sind nach den Evangelien Zeuginnen des Todes Jesu, seiner Grablegung und seiner Auferstehung (vgl. Mk 15,40–41; Mt 28,1.9–10). Im Johannesevangelium ist es Maria von Magdala, der der Auferstandene zuerst begegnet und die als erste einen Verkündigungsauftrag erhält (vgl. Joh 20,1–18; Mt 28,9–10; Mk 16,9); aus diesem Grund wurde ihr schon bei den lateinischen Kirchenvätern eine dem Zwölferkreis gegenüber hervorgehobene Position als „apostola apostolo- rum“ zuerkannt. Papst Franziskus hat dies erneut in das kirchliche Gedächtnis zurückgerufen, als er ihr Fest in den liturgischen Rang eines Apostelfestes erhob. Apostel sind also öffentliche Zeugen und Zeuginnen des Auferstandenen.
Im urchristlichen Credo, auf das Paulus in seinem ersten Korintherbrief verweist, werden, im Unterschied zu den Erzählungen der Evangelien, nur männliche Osterzeugen namentlich genannt (vgl. 1 Kor 15,5-8). Warum werden die Frauen hier nicht genannt, obwohl es sie gab? Im sozial- kulturellen Kontext war es üblich, dass in einem Rechtsstreit allein die männliche Zeugenschaft als gerichtlich verwertbares Indiz galt. Dadurch, dass die Formel ausschließlich männliche Zeugen nennt, wird die Glaubwürdigkeit des Glaubensbekenntnisses legitimiert. Auf diese Weise aber werden die Frauen aus der Reihe derjenigen Osterzeuginnen und -zeugen, denen deshalb der Aposteltitel zukommt, von vornherein ausgeschlossen. Paulus selbst beansprucht hingegen aufgrund seiner Begegnung mit dem Auferstandenen vor Damaskus (vgl. Apg 9) für sich diesen Aposteltitel und bezeichnet später auch andere als „Apostel“, darunter mindestens eine Frau (Junia, vgl. Röm 16,7).
Die Evangelisten Matthäus und Lukas setzen die Apostel mit den Zwölf in eins (vgl. Mt 10,2; Lk 6,13). Für die Apostelgeschichte des Lukas entsteht mit „den Aposteln“ auf diese Weise eine einheitliche Gruppe, die für die Kontinuität zwischen Jesus und der sich gründenden Kirche steht. Mit der Nachwahl des Matthias in den nachösterlichen Zwölferkreis wird einer von denen ernannt, „die mit uns die ganze Zeit zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging“ (Apg 1,21). Paulus ist für den Autor des lukanischen Doppelwerks deshalb kein Apostel. Die Bezeichnung „die zwölf Apostel“ hat also mit dem lukanischen theologischen Geschichtsbild zu tun: Sie erinnern im lukanischen Kirchenmodell an die „Lehre der Apostel“ (Apg 2,42) als dem entscheidenden Faktor der Kontinuität zwischen dem irdischen Jesus und der nachösterlichen Kirche.
Das lukanische Kirchenbild ist deshalb jedoch nicht einfach hierarchisch: Die Perikope vom Obergemach, in dem sich die Elf „zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern“ (Apg 1,14) zum einmütigen Gebet zusammenfinden, zeichnet das einprägsame Bild einer geschwisterlichen Ur-Kirche, auf die sich am Pfingsttag unterschiedslos der Geist ausgießt. An dieses biblische Marien- und Kirchenbild kann eine Ekklesiologie heute anknüpfen.
Was ergibt sich aus dem neutestamentlichen Befund zu den „Zwölf” und den nicht damit in eins zu setzenden „Aposteln“ für eine heutige Diskussion um Dienste und Ämter in der Kirche? Das Argument, dass Jesus „die zwölf Apostel“ berief und diese ausschließlich Männer waren, folgt der späteren Perspektive des Matthäus und insbesondere des Lukas, der diese zwölf Männer mit den kirchengründenden Aposteln in eins setzt. Wenn man dagegen vom Jüngerbegriff ausgeht, so berief und sandte Jesus zu seinen irdischen Lebzeiten Männer und Frauen. Der älteste greif- bare Apostelbegriff schließlich orientierte sich an der Begegnung mit und der Sendung durch
den Auferstandenen. Diese Gruppe umfasst, von Maria von Magdala über Paulus, Andronikos und Junia, viele Menschen – Männer und Frauen, wozu auch die zwölf (oder elf) Apostel mit Petrus zählen. Generell stellt sich also die Frage, inwiefern die Wahl der Zwölf für die spätere Ausgestaltung der kirchlichen Ämterstruktur normativ ist, denn ein solcher Zwölferkreis wird als Autorität schon bald nicht mehr erwähnt. Zu bedenken ist zudem, dass es inzwischen mehrere tausend Bischöfe als „Nachfolger der Apostel“ gibt. Wieso allein die Frage des Geschlechts hier den weiteren Weg normieren soll, ist nicht nachvollziehbar.
3.5 Frauen in den neutestamentlichen Gemeinden
Die frühe Zeit der christlichen Gemeinden in den Städten Kleinasiens, Griechenlands und in Rom ist in den Paulusbriefen greifbar, die eine Generation vor den Evangelien entstanden sind. Die zahlreich und namentlich bezeugten Frauen mit ihren Funktionen und Aufgaben in den Gemein- den ergeben ein eindrucksvolles Bild: Frauen waren, in gleicher Weise und zusammen mit den Männern, in Angelegenheiten der Gemeindeleitung wie der Gemeindeorganisation tätig. Sie waren in die vertiefende Verkündigung des Evangeliums und in die missionarische Arbeit eingebunden. Dies gilt nicht nur für die von Paulus gegründeten Gemeinden, wie die Grußliste im Römerbrief zeigt (vgl. Röm 16).
Da Paulus in männerzentrierter Sprache auch Frauennamen mit den männlichen Funktionsbezeichnungen verbindet (Apostolos in Röm 16,7 für Junia, Diakonos in Röm 16,1 für Phöbe), ist nicht auszuschließen, dass auch bei der in 1 Kor 12,28 genannten Trias „Apostel, Propheten und Lehrer“, den in 1 Kor 15,6 erwähnten 500 Brüdern, denen der Auferstandene erschien, sowie den in Phil 1,1 erwähnten Episkopen und Diakonen konkrete Frauen mitgemeint sind. Ebenso liegt nahe, dass in der theologisch wichtigen Aussage über die Gotteskindschaft in Gal 4,4-7 die männliche Sprachform sich auf beide Geschlechtsformen bezieht, dass also auch die Frauen gleich den Männern den Geist empfangen und damit wie sie zu erbberechtigten „Söhnen“ wer- den – und nicht etwa zu unterprivilegierten „Töchtern“.
Paulus gibt weder eine Auskunft darüber, wie und von wem das Herrenmahl geleitet wurde, noch verwendet er einen bestimmten Begriff für eine solche Aufgabe, weder für Männer noch für Frauen. Das könnte damit zusammenhängen, dass sich die Kirche selbst als feierndes Subjekt beim Herrenmahl empfand. Eine sakramententheologische Reflexion einer solchen Rolle ist in neutestamentlicher Zeit nicht wahrzunehmen. Erst nachneutestamentlich ist ein Vorsitz beim Herrenmahl bezeugt, der dann aber dem Mann vorbehalten ist.
Erkennbar sind allerdings Schlüssel- und Leitungsrollen, die in der konkreten Praxis wahrscheinlich meist die jeweiligen Hausvorstände innehatten und in denen uns einige Frauennamen über- liefert sind: Maria, die Mutter des Johannes Markus, in Jerusalem (vgl. Apg 12,12), Lydia in Philippi (vgl. Apg 16,14.40), Priska mit ihrem Mann Aquila in Ephesus (vgl. 1 Kor 16,19; 2 Tim 4,19) und Rom (vgl. Röm 16,3), ebenfalls in Rom: Maria, Junia, Tryphäna und Tryphosa, Persis, Julia, sowie die Mutter des Rufus und die Schwester des Nereus (vgl. Röm 16,6-15), Nympha in Laodizäa (vgl. Kol 4,15), Apphia in Kolossä (vgl. Phlm 1-2), Phöbe in Kenchreä (vgl. Röm 16,1), sowie Chloë (vgl. 1 Kor 1,11).
Das spätere Kirchenbild prägten aber nicht vorrangig die paulinischen Gruß- und Charismenlisten. Stattdessen etablierte insbesondere der Autor des lukanischen Doppelwerkes die Zurückdrängung der Frauen aus ihrer ursprünglichen Bedeutung in der christlichen Kirche, indem er das Apostolat auf die Zwölf beschränkte (anders als Paulus) und Petrus besonders hervorhob. So wird zwar der Liste der männlichen Jünger (vgl. Lk 6,13–16) eine Liste von Frauen im Gefolge Jesu gegenübergestellt (vgl. Lk 8,1-3). Aber gerade hier zeigt sich die Veränderung der Frauen- rolle zwischen der Zeit Jesu und der Zeit des Lukas: Aus Frauen wie Maria von Magdala, die bei Jesus eine Sendung der Verkündigung hatten, werden bei Lukas Unterstützerinnen und Diene- rinnen der männlichen Verkünder.
Dahinter steht die veränderte Situation der Christen der zweiten Generation, die aus dem ländlichen Palästina in den Raum der syrischen, kleinasiatischer sowie griechischen Städte kamen und auch im stadtrömischen Kontext Fuß fassten. Die geforderte Anpassung an die sie umgebende Kultur und die dort geltenden sozialen Strukturen erforderte ihren Tribut vor allem von den Frauen.
Eindeutig wird der Rollenwechsel der Frauen in den nachpaulinischen Pastoralbriefen (vor 150
n. Chr.): Die Frauen werden aus der öffentlichen Gemeinde ausgeschlossen und in den Bereich des Hauses zurückgedrängt. Die nach römischem Vereinsmodell konzipierten Hauskirchen wer- den von den „Ältesten“ (Presbyteroi) geleitet. Das „Kyriarchat“ fordert seinen Tribut, indem es den Ausschluss von Frauen motiviert. Es setzt sich aber insofern auch (noch) nicht vollständig durch, da die Kirche nicht von einem einzigen Mann, sondern durch einen Kreis von Männern geleitet wird.
Einige Forschende halten das paulinische Lehrverbot für Frauen in 1 Kor 14,34-36 nicht für einen originalen Teil des Briefes, sondern für eine spätere Angleichung an das Lehrverbot in 1 Tim 2,11–15. In beiden Fällen aber wird das Lehrverbot nicht theologisch, sondern rein soziologisch mit Blick auf gesellschaftlich übliche Gepflogenheiten begründet. In 1 Tim 2,12–14 wird eine aus heutiger Sicht fragwürdige Genesis-Exegese herangezogen, um die Unterordnung der Frau unter den Mann zu begründen. Diakoninnen werden nur noch sozial-karitativ und geschlechtsspezifisch eingesetzt (vgl. 1 Tim 3,11).
Der Streit um die Witwen in 1 Tim 5,3–16 zeigt aus heutiger Sicht besonders deutlich, wie groß die Angst war, dass ein alternatives Rollenverständnis von Frauen das Ansehen der christlichen Gemeinden beschädigen könnte (vgl.1 Tim 5,14). In der paulinischen Zeit scheinen Frauen, die sich der männlichen Dominanz in der Gesellschaft entzogen und widersetzen, akzeptierter gewesen zu sein. 1 Kor 7 weist darauf hin, dass auch junge Frauen ihr religiös motiviertes Ideal der Ehelosigkeit leben und ihr Christsein mit einer größeren Freiheit in den Dienst der Verkündigung stellen konnten. Diese Möglichkeit wurde Frauen erst wieder im Kontext der spätantiken asketischen Mönchsbewegung gegeben. Die Etablierung der Ehelosigkeit für Frauen als akzeptierte religiöse Lebensform kann als eine bedeutende Emanzipationsleistung der Frühen Kirche betrachtet werden.
Auch wenn die Ämterstrukturen in den frühen Gemeinden noch nicht gefestigt waren und die Entwicklung nicht einlinig verlief, lässt sich der Prozess einer „Institutionalisierung“ schon früh erkennen. Je mehr die Institutionalisierung voranschritt, desto stärker traten Frauen in den
Hintergrund. Bei Paulus sind Charismen- und Funktionsträger und -trägerinnen Teil der Gemeinde (vgl. 1 Kor 12,28). Hier sind Frauen denkbar. Die Pastoralbriefe (vor 150 n. Chr.) setzen hingegen das Charisma Gottes (in der Einheitsübersetzung mit „Gnade“ übersetzt) mit der Weihegnade gleich. Verliehen wird beides durch eine Handauflegung nach alttestamentlichem Modell (vgl. 1 Tim 4,14). Von einem solchen Amt wurden Frauen spätestens im zweiten Jahrhundert ausgeschlossen. Das gilt auch für das dreigliedrige Amt aus Episkopos, Presbyteros und Diakonos sowie für den Monepiskopat (Leitung der Gemeinde durch einen Bischof). Diese Leitungsformen haben sich in nachneutestamentlicher Zeit herausgebildet und werden von den Kirchenvätern später theologisch begründet.
3.6 Biblische Ämtermodelle: Von der Deutung der Geschichte zur Gestaltung der Gegenwart
Weder sind die heutigen kirchlichen Ämter und Dienste mit einem Mal entstanden noch verlief ihre Entwicklung einlinig. Sozialgeschichtliche Studien und neuerdings die Geschlechterstudien zeigen ergänzend, dass die Möglichkeiten einer Frau, ihr Leben bestimmen zu können, weitgehend von ihrer sozialen und ökonomischen Situation abhängig war. Das galt bereits für die Anfänge der christlichen Kirche. Nicht jede Frau konnte alles zurücklassen und Jesus folgen. Sklavinnen konnten auch in den römischen Stadtgemeinden keine leitende Funktion innehaben. Was die Geschäftsfrau und Diakonin Phöbe in Kenchräa konnte, war der freigelassenen Sklavin Junia in Rom trotz ihres Apostelseins vermutlich nicht möglich. Das bedeutet, dass das, was wir über konkrete Frauen und ihre Möglichkeiten wie über die Grenzen ihrer Partizipation in urchristlichen Gemeinden wissen, immer auch abhängig ist von den konkreten gesellschaftlichen Vorstellungen, in erster Linie von den vorherrschenden Rollenbildern für Männer und Frauen, denen die christlichen Minderheiten sich anpassten. Dies zeigt folgendes Beispiel: Wenn Paulus oder der spätere Redaktor die Frau in der Gemeindeversammlung in harscher Weise zum Schweigen verurteilt (vgl. 1 Kor 14,33–36), tut er das mit der Begründung, dass weibliche öffentliche Rede in den Versammlungen der Gemeinden nicht üblich sei. Ihre aktive Rolle in Gottesdiensten da- gegen setzt er voraus (vgl. 1 Kor 11,2-16). Nach dem 1. Korintherbrief wäre also die Verkündigung von Frauen im Gottesdienst gerechtfertigt, ihre Rolle als Pfarrgemeinderatsvorsitzende hingegen oder weibliche Leitungsämter in der Kirche überhaupt ausgeschlossen.
Die Tatsache, dass soziale Strukturen in der Antike die Geschlechterrollen weitgehend bestimmten, muss heute sehr vorsichtig machen, biblische Aussagen über Frauen als grundsätzlich gültige Festlegungen zu begreifen. Die Kirche fühlte sich nie verpflichtet, die Normen der heidnischen antiken Umwelt unhinterfragt aufrecht zu erhalten; sie hat diese in ihrer Geschichte im Gegenteil aus dem Geist des Evangeliums heraus massiv in Frage gestellt und zum Teil mit großen missionarischem Aufwand bekämpft. Heute wird die Verkündigung des Evangeliums dadurch behindert, dass in der Kirche eine Ungleichbehandlung der Geschlechter wahrgenommen und die christliche Botschaft damit als unglaubwürdig beurteilt wird.
Als sinnvoller könnte es sich erweisen, die paulinische Charismenlehre neu zu gewinnen und auf heutige Träger und Trägerinnen von Geistesgaben in der Kirche anzuwenden. Für Paulus ist die Kirche (Ekklesia) – christologisch – das in Christus gesammelte Volk Gottes und – pneumatologisch
– der vom Geist zusammengefügte und mit seinen Gaben belebte Leib Christi (vgl. 1 Kor 12). Bis heute uneingeholt ist die Vision einer christlichen Gemeinschaft von Menschen, in der nicht
mehr Volkszugehörigkeit, sozialer Status oder Geschlecht (Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, männlich oder weiblich) bedeutsam ist, sondern die neue Existenz als getaufter Mensch in Christus (vgl. Gal 3,28), also eine Rückkehr zur ursprünglich guten Schöpfung. Paulus zitiert hier bereits von ihm vorgefundenes Traditionsgut, zunächst unabhängig von der Ämterfrage. Doch nennt er das Prinzip, entlang dessen die Kirche in der gegenwärtigen Situation ihre Voll- macht ausrichten kann, Ämter neu zu gestalten oder auch neue Ämter zu schaffen, aus ihrem Glauben an die Sendung des auferstandenen Herrn.
3.7. Maria, Gottesfreundin, Schwester im Glauben und Urbild (Typus) der Kirche
Die biblische Frau, deren Wirkung für die Kirche theologisch und spirituell unerschöpflich ist, ist Maria, die Mutter Jesu. Historisch wissen wir von ihr kaum mehr als ihren Namen und den Heimatort Nazaret. Frauenbilder und Kirchenbilder aller Jahrhunderte haben sich an Maria orientiert. Als Gottesfreundin, Schwester im Glauben, Sitz der Weisheit und Urbild (Typus) der Kirche (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 53; 63) steht sie heute besonders für eine geschwisterliche Kirche, ein freundschaftliches Miteinander der Geschlechter in einem befreien- den Raum der Gnade. Die Sängerin des Magnificat preist Demut und Dienstbereitschaft. Sie nennt sich „Magd“ oder „Sklavin“ Gottes und überträgt damit einen prophetischen Ehrentitel auf sich (vgl. Mose als „Knecht“ bzw. „Sklave“ Gottes in Dtn 34,5). Sie stellt sich in die lange Tradition biblischer Frauen (Mirjam, Debora, Judit, Ester und viele mehr), die im Vertrauen auf Gott zu Stärke finden, den Geschlechter-Stereotypen trotzen und das Ende ungerechter Machtverhältnisse durch Gottes Handeln besingen.
Die vorliegende biblische Grundlegung lässt bei aller Berücksichtigung des patriachalen Entstehungs- und Auslegungskontextes vielfältige Potenziale für die Gleichwertigkeit von Mann und Frau sowie die gemeinsame Sendung von Gläubigen unabhängig von ihrem Geschlecht zur Verkündigung des Evangeliums erkennen.
Das Zentrum der Botschaft Jesu war die Ankündigung der kommenden Gottesherrschaft (Mk 1,15). Die Ansage des Reiches Gottes, das nahe herbeigekommen ist, galt allen. Die Evangelien berichten eine Vielzahl von Begegnungen Jesu mit Frauen. In allen Erzählungen zeigt sich, dass Jesus eine brüderlich-bejahende Haltung zu den Frauen einnimmt. Er spricht mit ihnen, er heilt sie, er lehrt sie als seine Jüngerinnen, er schützt sie vor sozialer Ungerechtigkeit und religiöser Diskriminierung.
In allen Osterberichten der Evangelien vom leeren Grab sind die Frauen die ersten Zeugen der Auferstehung. Sie wagen den Weg zum Grab, sie empfangen die Offenbarung des Sieges über den Tod und sie werden mit der Verkündigung der Osterbotschaft betraut.
Die charismatische Gleichberechtigung in den paulinischen Gemeinden schließt Frauen ein. Frauen haben selbstverständlich Anteil an den Geistesgaben, die alle zum Aufbau der Gemeinde eingebracht werden sollen. In der Missionsarbeit des Urchristentums wurde deshalb nicht auf die Dienste der Frauen verzichtet. Sie setzten vielmehr ihre Zeit, Kraft, ja ihr ganzes Leben für die Ausbreitung des Evangeliums ein. Sie waren verkündigend, seelsorgerlich, unterweisend und leitend in den urchristlichen Gemeinden tätig.
4. Reflexionen in der Traditionsgeschichte
Durch alle Epochen der Geschichte des Christentums hindurch hatten Frauen eine tragende und gestalterische Rolle in den christlichen Gemeinden inne. Unzählige – aufgrund der männlich autorisierten Überlieferung oftmals namenlose – Frauen haben die Kirche geprägt und geistlich bereichert, obwohl sie beginnend mit dem 2. Jahrhundert aus leitenden Funktionen und den Weiheämtern ausgeschlossen waren. Kirche ist im geschichtlichen Prozess ohne die Beterinnen, Seelsorgerinnen, karitativ Tätigen, theologischen Lehrerinnen, missionarisch Wirkenden und finanziellen Förderinnen nicht vorstellbar. Dabei haben Frauen sich in den durchweg patriarchalen Gesellschaften immer wieder Freiräume geschaffen und erkämpft, in denen sie neben der ihnen zugewiesenen dienenden und rezeptiven Rolle im Einzelfall auch leitende Funktionen in der Kirche ausübten. Große Bedeutung kam und kommt hier vor allem den Frauenorden zu. Äbtissinnen üben ihr Amt seit den frühen Zeiten der Christenheit in den von ihnen geleiteten Gemeinschaften mit geistliche Autorität aus. Ihr Handeln hat auch Bedeutung auf der Ebene der kirchlichen Rechtsprechung, es ist kirchenrechtlich qualifiziert. Frauenorden haben bis heute einen hohen Einfluss auf die geistliche Bildung der Gesellschaft. Die Darstellung der Geschichte des Christentums aus der Perspektive von Frauen ist daher keine Narration einer Reihe von exzeptionellen Frauengestalten, die herausragen, sondern die Erinnerung an die Geschichte des kontinuierlich eingebrachten Anteils von Frauen am kirchlichen Leben, den es wahrzunehmen und zu würdigen gilt.
4.1 Entwicklungen in der Zeit der Patristik und der Scholastik
Die Ausgestaltung der Ämter orientiert sich an kulturellen Mustern der römischen Gesellschaft, in denen Frauen nicht Zeugnis geben konnten, keine Verträge unterschrieben, in der der Ehemann oder ein Verwandter „Vormund“ der Frau war. Die sich neu ausgestaltenden sakramentalen Leitungsämter – in der Trias von Bischof, Presbyterat und Diakonat – waren deshalb Männern vorbehalten. Die Presbyter waren ein Gremium von erfahrenen Männern, die den Bischof berieten und die dann, als die Bistümer immer größer wurden, den Eucharistievorsitz in den Gottesdienstgemeinden übernahmen. Die Diakone waren für den Dienst an Armen, Witwen und Waisen zuständig. Über den dogmatisch-theologischen Stellenwert der Ämter, die Frauen in der Frühen Kirche bis hinein in das Mittelalter ausgeübt haben, wird heute gerungen. Bezeugt ist das Amt der Diakonin in der Westkirche bis in das frühe Mittelalter. Die Argumentationslinien um den Ausschluss von Frauen vom sakramentalen Amt machen sich dann in der scholastischen Theologie an der Frage fest, ob Frauen im Amt in der Feier der Eucharistie Jesus Christus repräsentieren können, und verbanden sich auch mit einer sich tief in die westliche Kultur einschreibende Überzeugung von der Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts.
Frauen waren in der Kirche des 1. Jahrtausends in verschiedenen Diensten und Ämtern tätig. Witwen und Jungfrauen, die im Gemeindedienst standen, erhielten eine Weihe, die ihrer Christusnachfolge einen besonderen Ausdruck verlieh. Diakoninnen wurden in einer ähnlichen Weise geweiht wie auch die Diakone. Die im Jahr 220 vorgelegte syrische Kirchenordnung der „Didascalia apostolorum“ spricht von einem Diakonenamt der Frauen, das zuständig ist für die Betreuung von Frauen in der Gemeinde, für Krankendienste, für die Taufkatechese und die Taufsalbung von Frauen. Im 4. Jahrhundert wird auf dem Konzil von Nicäa (325) zum ersten Mal der Titel „Diakonin“ erwähnt, im 5. Jahrhundert bezeugt das Konzil von Chalcedon (451), dass es eine Ordination von Frauen zur Diakonin gegeben hat. Es legt als Mindestalter der Diakoninnen 40 Jahre fest, es werden Bestimmungen zur Ehe und Heirat der Diakoninnen gegeben, und es ist von einer Weihe mit Handauflegung und Gebet die Rede. Bis ins 12. Jahrhundert hinein ist die Weihe von Frauen in der westlichen Tradition nachweisbar. In der Ostkirche und orthodoxen Tradition sind sogar noch länger Hinweise auf die Weihe von Frauen zu finden. An den großen Kathedralkirchen der Antike wirkten neben vielen Diakonen auch einige Diakoninnen. Zu den bekanntesten Diakoninnen der Antike zählen Olympias in Konstantinopel, Kelerina, Romana und Pelagia in Antiochien, sowie Radegundis, Ehefrau des fränkischen Königs Clothar, die den Hof verließ, sich zur „diacona“ weihen ließ und in Poitiers lebte.
In der scholastischen Theologie und Kanonistik kam es seit Mitte des 13. Jahrhunderts zu einer expliziten Reflexion auf den Ausschluss von Frauen vom sakramentalen Amt. In Aufnahme der aristotelischen Anthropologie wurde die Frau ihrem Wesen nach dem Mann untergeordnet und für ungeeignet für den Ordo erklärt. Die sakramentale Ordination, so wird hier herausgestellt, sei durch göttliches Recht ausgeschlossen, wobei zentrales Argument die „natürliche Ähnlichkeit“ zwischen dem sakramentalen Zeichen (mit Einbeziehung des Empfängers) und dem durch das Sakrament Bezeichneten ist. Dies bedeutet: Der männliche Christus kann nur durch einen männlichen Priester repräsentiert werden. Die schöpfungsbedingte Ähnlichkeit ist, so Bonaventura in seinem Sentenzenkommentar, eine Voraussetzung für das Zustandekommen des Sakraments, auch wenn die Fülle des Sakraments sicher immer durch die Einsetzung durch Christus erzielt wird. Mann und Frau stehen für „Gott und die Seele“, „Christus und die Kirche“, „höheren und niederen Teil der Vernunft“ (Bonaventura, 4 Sent. d. 25, a. 2, q. 1 c.). Der Mann steht dabei stets für den höheren, stärkeren, göttlichen Teil, die Frau für den niederen, schwächeren, geschöpflichen Teil, sie ist in genau diesem Sinne ein „mas occasionatus“, ein „unter ungünstigen Umständen“ gezeugter und daher minderwertiger Mann“, wie Thomas von Aquin schreibt (STh I, q. 92, a. 1). Genau das bedeute, so die Argumentation, dass die Frau nicht in der Lage sei, die priesterliche Christusrepräsentanz auszuüben, weil ihr Voraussetzungen auf der Ebene der „natürlichen Ähnlichkeit“ fehlten: nämlich das männliche Geschlecht, und damit könne sie nicht die Stelle des Bräutigams in der ehelichen Verbindung einnehmen, die als Analogie zur Beziehung zwischen Christus und der Kirche verstanden wird.
Eine Schuldgeschichte, die bisher selten bedacht wird, betrifft die Frage nach der Abwertung der Frau im Kontext der Begründung des Pflichtzölibats für Kleriker im Rahmen der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts. Priesterfrauen wurden als Prostituierte und Konkubinen betrachtet, als Quelle der Sünde und als Anlass des Verderbens für die Geistlichen. Auf dem 2. Laterankonzil (1139 n. Chr.) wurde der Umgang von Klerikern höherer Weihen mit Frauen als Unzucht und Unreinheit verdammt; der Verlust des Amtes war die Folge. Kleriker wurden daher aufgefordert, sich von ihren Frauen und Kindern zu trennen. Die Enthaltsamkeit des Priesters wurde unter anderem damit begründet, dass man nicht während der Eucharistie den Leib Christi berühren könne und in zeitlicher Nähe dazu zugleich einen „Hurenleib“, jenen der Frau. Die Einforderung der kultischen Reinheit des Klerus führte zu einer Disqualifizierung der Frau als Objekt der sündigen Begierde.
Bereits in der Spätscholastik ist bei Johannes Duns Scotus und Durandus die Argumentation im Blick auf den Ausschluss der Frau vom Weiheamt verändert worden. Es wird ein Argument eingeführt, das sich auf eine entsprechende Anordnung Christi beruft: Christus selbst habe es so gewollt, und nur unter Rückbezug darauf könne die Kirche, so Johannes Duns Scotus, „schuldlos (sine culpa)“ und ohne Begehung einer „riesigen Ungerechtigkeit (maximae iniustitiae)“ Frauen von einem Sakrament ausschließen, das „auf das Heil der Frau und – durch sie – anderer in der Kirche ausgerichtet wäre“ (Johannes Duns Scotus, Ord. IV, d. 25, q. 2, n. 76). Die Beschränkung der Ordination auf Männer wird aus der Verleihung der Konsekrationsvollmacht beim Abendmahl und der Absolutionsvollmacht in Verbindung mit der Geistverleihung durch den Auferstandenen (Joh 20,19-23) abgeleitet. Das ist die Argumentationslinie, auf die in der kirchlichen Tradition bis „Ordinatio sacerdotalis“ (1994) zurückgegriffen wird. In den mystischen Traditionen, z.B. in Texten von Gertrud von Helfta oder Mechthild von Magdeburg, von Juliana von Norwich, von Teresa von Avila, Thérèse de Lisieux oder Edith Stein wird diese kirchliche Argumentation unterlaufen, und auch in der Praxis der Kirche – in Katechese, Bildungs- und Missionsarbeit, aber auch bis hinein in liturgische Praktiken in Frauenklöstern und ästhetische Ausdrucksformen wie z.B. Buchmalereien – sind eine Vielfalt anderer Zeugnisse zu entdecken, die für das Ringen von Frauen um weitergehende Partizipation in der Kirche – ihrer Berufung entsprechend – stehen. Aber diese Zeugnisse sind über Jahrhunderte unsichtbar geblieben.
4.2 Frauendiakonat in der orthodoxen Kirche
In verschiedenen orthodoxen Kirchen sind in den letzten Jahren Diakoninnen geweiht worden; so hat Patriarch Theodoros II. in der Demokratischen Republik Kongo im Februar 2017 im Rahmen eines Gottesdienstes in Kolwezi eine Frau zur „Missionsdiakonin“ geweiht, ebenso hat der Patriarch von Jerusalem eine Frau zur Diakonin geweiht. Diese Weihen knüpfen an die Weihe von Diakoninnen in der Frühen Kirche und der orthodoxen Tradition an, die bis in die spät-byzantinische Epoche praktiziert wurde; abgeschafft wurde die Institution des Frauendiakonats jedoch nie durch einen synodalen Beschluss.
Seit den 1980er Jahren wird in den orthodoxen Kirchen die Debatte um die Wiederaufnahme des Frauendiakonats geführt: Nach der innerorthodoxen Versammlung in Boston (1985), auf der die Wiederherstellung der Institution der Diakonin diskutiert worden ist, berief das Ökumenische Patriarchat 1988 eine panorthodoxen Konferenz auf Rhodos ein zum Thema Stellung der Frau in der Orthodoxen Kirche und die Frage der Frauenordination. Hier wurde betont, dass das Diakonat der Frauen wiederbelebt werden sollte. Dieses war zwar nie vollständig abgeschafft worden, drohte aber in Vergessenheit zu geraten. Die Studien des orthodoxen Theologen Evangelos Theodorou und viele weitere machen deutlich, dass in den Texten der Frühen Kirche im Hinblick auf die Qualität der Weihe kein Unterschied gemacht wird zwischen Mann und Frau, dass es auch keinen geschlechtsspezifischen Unterschied gibt zwischen einer höheren oder einer niederen Weihestufe oder zwischen einem Sakrament und einer Sakramentalie. Die Ordinationsformulare enthalten die Epiklese und im Weihegebet die Bezugnahme auf die göttliche Gnade, was ausdrücklich auf eine sakramentale Weihe hinweist. Das Diakonat, und dazu zählt auch das Frauendiakonat, gehört in der alten Kirche und in der orthodox-theologischen Interpretation dieser Weiheformulare zum höheren Ordo wie der Bischof und Presbyter.
Die Diakoninnen in den orthodoxen Kirchen arbeiteten auf den Feldern der Liturgie, Pastoral, Katechese, Bildung, Mission und der Fürsorge vor allem für kranke, trauernde, notleidende Frauen, für christliche und nicht-christliche Frauen. Sie trugen zudem Verantwortung für die Jungfrauen und Witwen innerhalb der Kirche, im Gottesdienst selbst war es ihre Aufgabe, für Ordnung und Sittsamkeit zu sorgen. Vor allem wirkten sie auch, wie es die „Apostolischen Konstitutionen“ deutlich machen, bei der Spendung der Taufe mit, sie teilten die Eucharistie an kranke Frauen aus, die keinen Zugang zum Gotteshaus hatten, und sie wirkten beim Dienst der Beerdigung von Frauen mit. Der ökumenische Dialog mit der Orthodoxie wird im Blick auf die Einrichtung des Frauendiakonats hilfreich sein, auch wenn die orthodoxe Kirche die Ordination von Frauen zum priesterlichen Amt ablehnt.
4.3 Positionierungen in reformatorischer Tradition
Die Reformation in ihrer Pluralität hat vor allem in ihrer Frühphase neue Möglichkeiten für die Beteiligung von Frauen am kirchlichen Leben eröffnet. Durch die Betonung des Priestertums aller Gläubigen in den reformatorischen Bewegungen erkannten Frauen ihre Chance, sich öffentlich theologisch zu äußern, ihre traditionellen Rollen zu transzendieren und ihre Berufungen in neuen Diensten im Raum der Kirche zu leben.
Dennoch hat die Reformation nicht geradlinig zur Frauenordination geführt, oder ihr auch nur stringent den Weg geebnet. Die Zulassung von Frauen zum pastoralen und ordinierten Amt ist vielmehr eine Entwicklung der Neuzeit, besonders aber des 19. und 20. Jahrhunderts, wobei außer dem Diakonat nur wenige Kontinuitätslinien in frühere Epochen aufzuweisen sind. Vor dieser Zeit kam Frauen vor allem in protestantischen Frömmigkeitsbewegungen (u.a. Pietismus, Puritanismus, Erweckungsbewegung, freikirchliche Denominationen), die auf den persönlichen Glauben des Einzelnen und die charismatische Gleichberechtigung der Gläubigen Wert legten, neue und zum Teil auch leitende Funktionen zu, die vor allem den Verkündigungsdienst ein- schlossen und profilierten.
Der gleichberechtigte Dienst von Frauen im Pfarramt in den evangelischen Landeskirchen konnte sich über mehrere Stufen unterprivilegierter Dienstverhältnisse in regional unterschiedlich langen Zeitphasen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchsetzen, aber erst Mitte der 70er Jahre wurde die Gleichstellung der Frauen im Pfarramt kirchengesetzlich verankert und geregelt. Oftmals führte der Weg über ein „Amt eigener Art“ bzw. Frauenamt (u.a. Pfarrgehilfin, Vikarin), wobei der Unterschied zum männlichen Amtsträger aufgrund der geschlechtsspezifischen Zuschreibungen dezidiert unterstrichen wurde. Analoge Prozesse führten ab den 1970er Jahren auch zur Anerkennung des ordinierten Amtes von Frauen in einigen Freikirchen. Besonders viel Aufmerksamkeit in der Ökumene erhielt die Entscheidung der Generalsynode der Kirche von England im Jahr 1992, Frauen als Priesterinnen zuzulassen. In der altkatholischen Kirche erfolgte – über die Einführung des Diakonats – 1994 die uneingeschränkte Ordination von Frauen zum apostolischen Amt in der Kirche.
In allen Kirchen, die sich schließlich zur Ordination von Frauen und deren Beauftragung in alle kirchlichen Ämter und Dienste entschlossen, lässt sich ein oftmals stufenweiser Verlauf beobachten, wobei verschiedene kirchliche „Frauenämter“ geschaffen wurden, um Frauen in kirchlichen Aufgaben einsetzen zu können. Diese umfassten das ganze Spektrum des geistlichen
Amtes, doch ohne den Frauen die völlige Gleichberechtigung zu gewähren. Die Anerkennung von Frauen in kirchlichen Ämtern setzte sich gerade in den Kirchen durch, in denen der Verkündigungsauftrag von Frauen ernst- und wahrgenommen bzw. eine gabenorientierte Gleichberechtigung profiliert wurde. Dabei spielte eine pneumatologische Akzentuierung der Amtstheologie die entscheidende Rolle. Das ist sicher ein ökumenischer Anknüpfungspunkt, auch wenn in den Kirchen der Reformation bis heute in ähnlicher Weise wie in unterschiedlichen Regionen in der Römisch-katholischen Kirche um Geschlechtergerechtigkeit gerungen wird. Die anglikanisch- kirchliche Weltgemeinschaft ist angesichts der Einführung der Frauenordination vor eine Zerreißprobe gestellt worden; insofern werden kirchenrechtliche Anstrengungen notwendig sein, inwiefern regionale Regelungen zur Öffnung des Amtes für Frauen möglich sind.
4.4 Entwicklungen in der Moderne
Im Reformationszeitalter im 16. Jahrhundert wurden auf der Grundlage der biblischen Zeugnisse Erkenntnisse gewonnen, die Aufnahme in die Texte des Trienter Konzils fanden und durch das
2. Vatikanische Konzil bekräftigt wurden. Hintergründig sind diese Entwicklungen von hoher Bedeutung bei der Vorbereitung auf die mit theologischer Expertise zu beratende Frage, ob auch Frauen in ein sakramentales Amt berufen sind.
Das in Taufe und Firmung begründete Gemeinsame Priestertum ist die theologische Grundlage für jede weitere Überlegung zur Besonderheit des sakramentalen Dienstamtes (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 10). Das „Priestertum des Dienstes“ unterscheidet sich vom „Gemeinsamen Priestertum“ „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“ (2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 10). Das letzte Konzil wollte mit dieser Aussage zum Ausdruck bringen, dass es einen kategorialen und nicht bloß einen graduellen Unterschied in der Bestimmung des Dienstes von Getauften und sakramental Ordinierten gibt: Ordinierte haben einen anderen Dienst, sie tun einen Dienst an den Diensten, die als solche allen Getauften aufgetragen sind. Sie entdecken und bestärken die Charismen; sie koordinieren einzelne Aufgabenbereiche; sie ermahnen dazu, einmütig bei dem einen guten Werk zusammenzuarbeiten. Beim Dienst an den Diensten ist in besonderer Weise Kommunikationsfähigkeit, Differenzierungsvermögen und Einsicht in die Grundlagen christlicher Existenz erforderlich. Solche Begabungen haben Frauen wie Männer. Die Verkündigung des Evangeliums von der Gnade Gottes ist die primäre Aufgabe bei jedem kirchlichen Handeln. Anders als in früheren Zeiten, in denen Aufgaben der Jurisdiktion im Vordergrund standen, hat das 2. Vatikanische Konzil als die primäre Aufgabe der Bischöfe benannt, dafür Sorge zu tragen, dass das Evangelium allüberall verkündigt wird (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 25; Christus Dominus 12; Ad Gentes 30). Angesichts dieser Herausforderung stellt sich die Frage, weshalb Bischöfe nicht alle dargebotenen Möglichkeiten ergreifen, auch Frauen, die fachlich geprüfte Expertisen erworben haben und dazu bereit sind, das Evangelium im kirchlichen Auftrag zu verkündigen, gleichberechtigt mit Männern mit dem Dienst der Verkündigung des Evangeliums zu beauftragen.
Das 2. Vatikanische Konzil hat der Frage nach der Ordnung der Dienste und Ämter hohe Aufmerksamkeit geschenkt. Die Sorge für das diakonische Handeln der Kirche war dabei ein wichtiges Anliegen. Die Einrichtung des „Ständigen Diakonats“ in der Zeit nach dem 2. Vatikanischen
Konzil kann als eine Einlösung eines Versprechens des Konzils gelten, dieser Dimension kirchlichen Handelns mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Auch in den Ortskirchen des Südens – wie
z.B. der lateinamerikanischen – wird, wie jüngst auf der Amazonassynode (2019) und der Kirchlichen Versammlung (2021), dies angemahnt. Noch vor der Konzilsentscheidung haben sich Männer auf ihre Tätigkeiten vorbereitet. Heute tun dies auch Frauen – in der Hoffnung auf eine Rezeption der theologischen Erkenntnisse zur Thematik.
5. Systematisch-theologische Aspekte
Es gibt in den weltweiten Fachgesprächen über die Frage der Möglichkeit der Teilhabe (auch) von Frauen am sakramentalen Amt kontroverse Sichtweisen, die mit grundlegenden Fragen der Theologie zu tun haben, die hier im Folgenden aufgegriffen werden: Auf welchen Wegen lässt sich erkennen, was der geoffenbarte Wille Gottes ist? Was ist der Unterschied zwischen einem sakramentalen Dienstamt und anderen Formen der Sendung und Beauftragung von Gott berufener Menschen? Welches Kirchenbild ist im Gesamt der Überlegungen leitend und wie sind die kirchlichen Lehrentscheidungen, die einen hohen Verbindlichkeitsgrad beanspruchen, im Gespräch zu bedenken?
5.1 Offenbarungstheologische Kontexte
Bereits während des 2. Vatikanischen Konzils (1962-65), verstärkt jedoch in der systematisch- theologischen Reflexion in der Folgezeit, ist die Frage nach der Möglichkeit der Teilhabe auch von Frauen an den drei Gestalten des einen sakramentalen Amtes kontrovers diskutiert worden. Das hat auch mit den Entwicklungen in der Ökumene zu tun. So wurden – wie oben dargestellt – ab den 1950er Jahren Frauen als Pfarrerinnen in den evangelischen Landeskirchen ordiniert. In den anglikanischen Kirchen ergaben sich seit den 1960er Jahren theologische Gespräche über die Frauenordination. 1992 beschloss die Generalsynode der Kirche von England, Frauen als Priesterinnen zuzulassen. In der altkatholischen Kirche gab es parallele Entwicklungen. Motivierend wirksam bei diesen Entwicklungen war gewiss auch die neue Wahrnehmung der Rolle der Frau in der Gesellschaft. In der Mitte der theologischen Auseinandersetzung stand immer die Sorge um die zeitgemäße Verkündigung des Evangeliums.
In diesem zeitlichen Kontext sind zwei lehramtliche Schreiben vorgelegt worden, über deren Verbindlichkeit in den fachtheologischen Disputen bis heute keine Einigkeit besteht. Am 22. Mai 1994 hat Papst Johannes Paul II. Ordinatio Sacerdotalis über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe veröffentlicht und sich dabei auf das Dokument der Glaubenskongregation Inter Insigniores zur Zulassung von Frauen zur Priesterweihe vom 15. Oktober 1976 bezogen. 1994 formuliert Johannes Paul II.: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32), daß die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und daß sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“ (Ordinatio Sacerdotalis 4) Johannes Paul II. rekurriert hier auf die Autorität der Kirche und die kirchenrechtliche Bestimmung, dass nur der „getaufte Mann die heilige Weihe gültig empfängt“ (Can. 1024 / CIC 1983): „als feststehende Norm“ hat die Kirche „die Vorgehensweise ihres Herrn bei der Erwählung der zwölf Männer anerkannt, die er als
Grundsteine seiner Kirche gelegt hatte (vgl. Offb 21,14)“ (Ordinatio Sacerdotalis 2), und diese haben „nicht nur eine Funktion“ übernommen, „die dann von jedem beliebigen Mitglied der Kirche hätte ausgeübt werden können, sondern sie wurden in besonderer Weise und zutiefst mit der Sendung des fleischgewordenen Wortes selbst verbunden“ (Ordinatio Sacerdotalis 2). Papst Franziskus bezieht sich in seinen Stellungnahmen zu dieser Frage auf die verbindliche Entscheidung von Ordinatio Sacerdotalis und betont im Blick auf die Frage nach der Frauenordination, dass „die Tür zu sei“.
In der lehramtlichen Argumentation wird dabei die Erklärung Inter Insigniores der Glaubenskongregation miteinbezogen und damit eine Argumentationsfigur bekräftigt, die auf die traditionelle Geschlechteranthropologie zurückgreift. Die Christusrepräsentanz im sakramentalen Amt ist in dieser Perspektive nur durch den Mann möglich: „In persona Christi“ handeln, das heißt, die Verwaltung des Sakraments der Eucharistie hat Christus ausschließlich den Aposteln – Männern – übertragen. Papst Franziskus formuliert im nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia:
„Jesus Christus zeigt sich als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes, der ihr vorsteht als Zeichen des einen Priesters“ (Querida Amazonia 101). Die Christusrepräsentanz im sakramentalen Amt wird in diesem Sinn als Gegenüber zur Kirche verstanden, die „weiblich“ ist. Hier wird auf der einen Seite vergessen, dass „in persona Christi“ die Rolle meint, nicht die menschliche Person, wie sie in einem neuzeitlichen Sinn verstanden wird. An der anderen Seite werden Bilder erinnert, die seit der Zeit der Patristik bedacht wer- den: Die Kirche sei die Braut, so das Bild aus dem Epheserbrief, die dem Bräutigam, Christus, in liebender Beziehung verbunden ist (vgl. Eph 5, 21-32).
Problematisch ist, dass der metaphorische Charakter dieser Texte nicht entsprechend beachtet wird und dass einlinige geschlechtsspezifische Zuschreibungen vorgenommen werden -Christus ist männlich, die Kirche ist weiblich – und dass hier mystische Traditionen, die diese einlinigen Zuschreibungen immer wieder aufgebrochen haben, nicht beachtet werden.
Die Metaphorik von Braut und Bräutigam, die in der Argumentation für den Ausschluss von Frauen aus dem ordinierten Amt verwendet wird, ist zudem aus einem weiteren Grund problematisch: Der ursprüngliche biblische Kontext ist die anschauliche Aufnahme der Frage nach dem Glauben an den einen Gott, der sich dem Volk Israel in Liebe versprochen hat. Die Bildwelt ist mit der Begründung des monotheistischen Bekenntnisses verbunden. Gott handelt an Israel wie ein eifersüchtiger Bräutigam, dem die Braut untreu wird – Gott bleibt dennoch barmherzig (vgl. Hos 2). Was könnte dies im ämtertheologischen Zusammenhang bedeuten? Die Braut Kirche – Männer wie Frauen – ist sündig und verdient die Liebe des Bräutigams Gott nicht aufgrund eigener Werke. Die genannten lehramtlichen Dokumente und die Bekräftigung ihrer Verbindlichkeit auch durch Papst Franziskus machen deutlich, dass aus lehramtlicher Perspektive die amtliche Struktur – einschließlich ihrer geschlechtlich konnotierten Repräsentanzen – in der Offenbarung selbst, im Willen Gottes, begründet sei. Ob es für den Menschen möglich ist, den Willen Gottes im Blick auf die Kirche in ihrer institutionellen Gestalt so eindeutig zu erkennen, ist in der theologischen Diskussion gerade auf dem Hintergrund der offenbarungstheologischen Grundlagen, die das 2. Vatikanische Konzil in Dei Verbum und anderen Dokumenten entfaltet hat, eine offene Frage. In den biblischen Texten wird immer wieder auf die Unergründlichkeit der Ratschlüsse Gottes verwiesen. Sie führen in der Vielfalt ihrer Stimmen in die Tiefe des Christusgeheimnisses ein, stellen den Auferstandenen vor Augen und verbinden Offenbarung und Offenbarwerden für den Menschen, d.h. Offenbarung und Heilserfahrung. In der Tiefe geht es für den Menschen, der sich auf den Weg der Christusnachfolge macht, immer wieder neu um die Erfahrung einer Erlösung, die sein Fassungsvermögen übersteigt. Christus ist „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15), und Gott hat uns „durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt“, damit wir „heilig, untadelig und schuldlos“ vor ihn treten können (Kol 1,22).
Die aktuellen theologischen Debatten um den Zugang von Frauen zum sakramentalen Amt setzen bei dieser christologisch-soteriologischen und eschatologischen Perspektive der biblischen Texte an und knüpfen an die neuen offenbarungstheologischen Grundlagen des 2. Vatikanischen Kon- zils an. „Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun“ (2 Vatikanisches Konzil, Dei Verbum 2), er redet „aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde“ (2 Vatikanisches Konzil, Dei Verbum 2), und der Mensch „überantwortet sich“ Gott „als ganzer in Freiheit“ (2 Vatikanisches Konzil, Dei Verbum 5), getragen von der Gnade Gottes und dem Wirken des Heiligen Geistes. Die Frage nach der Repräsentanz Jesu Christi ist eingebettet in diese grundlegende offenbarungstheologische kommunikative Struktur, wie sie die Konzilstexte vor Augen führen. Gottes Offenbarung ge- schieht somit primär nicht durch „Instruktion“, durch eine äußerlich verbindliche Anweisung, Sätze für wahr zu halten, sondern durch einen Austausch göttlicher Zusage und menschlicher Antwort in einem personalen Geschehen von Glaube und Vertrauen.
Das Amt steht in diesem Sinn im Dienst der Evangelisierung, um das Heil in der weltlichen Wirklichkeit zeichenhaft und darin doch „real“, in der leiblichen und seelischen Wirklichkeit, erfahr- bar zu machen. Im Amt wird auf diese sakramentale Weise Jesus Christus „dargestellt“, „repräsentiert“, so dass dem ganzen Volk Gottes Räume der Erfahrung des Heils erschlossen werden und das Volk Gottes selbst dem Anspruch, das Evangelium zu verkündigen und die Gemeinschaft mit Gott und untereinander wachsen zu lassen, gerecht werden kann. Diese „Repräsentation“ erwächst dabei aus der kontinuierlichen Kommunikation Gottes mit dem Menschen und der Kommunikation des ganzen Volkes Gottes mit Gott, und das heißt: aus der Dynamik dessen, was Glauben – gerade auch im Sinn des Mit-Glaubens in der Gemeinschaft der Kirche – meint, je neu zu Gott „umzukehren“ und damit auch amtliche Strukturen in einen kontinuierlichen Prozess der Erneuerung auf Gott hin zu stellen.
Das 2. Vatikanische Konzil versteht das Geschehen der Offenbarung als eine Selbstkunde Gottes:
„Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (Eph 1,9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4).“ (2 Vatikanisches Konzil, Dei Verbum 2). Gottes Offenbarung dient dem Heil der Menschheit. Gottes Offenbarung ist eine Gabe und eine Verheißung von erlöstem Leben. Gott sagt seine Gegenwart in Treue zu. Jesus Christus ist das bleibende Ebenbild des unsichtbaren Gottes in Zeit und Geschichte. Gottes Wesen ist weder weiblich noch männlich. Gott hat die Schöpfung durch seine Menschwerdung erlöst: Gott geht hinein in die Niedrigkeit der irdischen Zeit und wird Mensch. Jesus Christus bleibt „gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). In der frühkirchlichen Christologie und Soteriologie ist dem Gedanken der Kenosis Gottes – der „Entäußerung“ durch die Selbsterniedrigung Gottes – sehr hohe Aufmerksamkeit geschenkt worden. Gott nimmt das Leben eines Menschen an, um den Menschen am göttlichen Leben teilhaben zu lassen. Wer in diesem theologischen Zusammenhang das unbestrittene biologische Geschlecht Jesu als Mann als von Bedeutung betrachtet, läuft Gefahr, die Erlösung der Frau durch Gott in Frage zu stellen, da nur erlöst ist, wen Gott seiner menschlichen Natur nach angenommen hat.
Bei der Frage, in welcher Weise durch das Leben und Wirken Jesu Christi Offenbarung Gottes geschieht, ist zwischen dem Handeln des irdischen Jesus, das (auch) unter den Vorzeichen seines menschlichen Willens und Bewusstseins geschah, und der nachösterlichen und nachpfingstlichen Deutung seiner gesamten Lebensgestalt zu unterscheiden. Es gilt heute als Gemeingut in der theologischen Forschung, dass Jesus sich in seiner Lebenszeit zu seinem Volk Israel gesendet wusste. Die Gründung der nachösterlichen Kirche in ihrem institutionellen Gefüge ist ein Geschehen im Heiligen Geist in Rückbindung an Zeichenhandlungen Jesu, die bedeutsam im Gedächtnis blieben. Zu diesen Zeichenhandlungen gehört der Ruf in die Weggemeinschaft mit Jesus, den Frauen wie Männer erfahren haben. Besondere Autorität haben in der nachösterlichen Zeit jene Personen erhalten, die dem auferstandenen Christus begegnet waren – ein Geschehen, das den apostolischen Dienst als Zeugnis für den lebendigen Christus begründet. An dieser Gestalt des Apostolats hat auch Maria von Magdala Anteil (vgl. Joh 20,11-18). Maria, die Mutter Jesu, wird in das Pfingstgeschehen hineingenommen (vgl. Apg 1,14; 2,1-4); dies steht für eine von Beginn an geschwisterliche Kirche. Als große Glaubende und prophetisch-mutige Frau (vgl. das Magnifikat Lk 1,46-55) wird Maria zum „Typus“ der Kirche, zum Vorbild aller Glaubenden – unabhängig vom Geschlecht.
Keines der biblisch überlieferten Worte kann für sich allein als eine Auskunft über den Willen Gottes für die institutionelle Gestalt der Kirche gelten. In einem komplexen geschichtlichen Prozess haben sich auf die jeweilige Zeit bezogene Dienste und Ämter herausgebildet, die immerzu eines gewährleisten sollten: der Verkündigung des österlichen Glaubens zu dienen. Be- reits innerhalb des biblischen Kanons sind unterschiedliche Vorstellungen von Diensten und Ämtern überliefert: in den paulinischen Gemeinden übernimmt Verantwortung, wer ein Charisma zum Aufbau der Gemeinde einbringt; in späterer Zeit ordnen sich die Ämter in der Sorge um die Wahrung der apostolischen Tradition. Alle Formen der Dienste und Ämter sind von bleibender Gültigkeit. In jeder Zeit stellt sich neu die Frage, welche Gestalt der kirchlichen Dienste und Ämter der Verkündigung des österlichen Evangeliums am besten dient.
5.2 Sakramententheologische Kontexte
Zentraler Auftrag der Kirche ist die Evangelisierung, und das Amt ist aus der apostolischen Sen- dung heraus zu verstehen. Es steht, so die Leitperspektive von Lumen Gentium im Kapitel zum Bischofsamt, in dem Dienst, Jesus Christus so darzustellen, zu repräsentieren, dass das Volk Gottes dem Anspruch, das Evangelium zu verkündigen und die Gemeinschaft mit Gott und untereinander wachsen zu lassen, gerecht werden kann (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 18). Damit wird ein sacerdotal-kultisches Amtsverständnis überwunden, das in Spätantike und Scholastik zu einer Neudeutung des Priestertums führte, die in der Darbringung des Mess- opfers dessen wichtigste Aufgabe festschrieb.
Das 2. Vatikanische Konzil geht – auch im Rückgriff auf Traditionen der Frühen Kirche – von einer Vielzahl von „ministeria“, Dienstämtern, aus, damit die Kirche ihre Aufgabe der Evangelisierung erfüllen kann. Jesus Christus hat „verschiedene Dienstämter“ (2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 18) eingesetzt, und alle gründen in dem Heilsdienst, auf den die Kirche in der Nachfolge Jesu Christi verpflichtet ist. Die Einsetzung durch Christus legitimiert die Autorität der „ministeria“, und darin gründet die mit dem Amt gegebene Vollmacht und sakramentale Qualität. Dabei ist das Amt immer ein Amt im Dienst „für andere“, die Sakramentalität ist in diesem Sinn in soteriologisch-pastoraler Hinsicht zu verstehen. Ein sakramentales Amt wahrzunehmen ist ein
„ministerium“, das einerseits „in“ der Kirche und andererseits durch das Gerufensein von Jesus Christus in „Relativität“ zum Volk Gottes zu sehen ist. Das „ministerium“ ist ein Dienst, der sich nicht primär vom „Darbringen des Opfers Jesu Christi“ in der Feier der Eucharistie her bestimmen kann. Es geht vielmehr darum, aus der je neuen Umkehr zu Jesus Christus sowie in einer Beziehung zur Gemeinde und mit der betenden Gemeinde den Raum zu öffnen, so dass sich das Geheimnis der Erlösung, das Gott in Jesus Christus hat offenbar werden lassen, je neu ereignen kann. Die Repräsentanz Jesu Christi, die dem Priester zukommt, ist in der Feier der Eucharistie ein relationaler Vollzug. Das „in persona Christi“-Handeln ist auf die Gemeinde der Glaubenden bezogen, damit diese immer mehr in das Geheimnis Gottes, für das Jesus Christus steht und das in seinem ganzen Leben, seinem Tod und der Auferstehung aufgegangen ist, hineinwachsen kann. Damit ist die Repräsentanz Jesu Christi in einem weiteren Sinn zu verstehen, entsprechend der vielen „ministeria“ und ihrer Ausrichtung am dienenden Christus (vgl. Mt 20,26; Joh 13,1- 15), von denen das Konzil spricht. Gerade die Christusrepräsentanz im diakonischen Amt wird dabei zu einer Erneuerung von Ekklesiologie und Amtstheologie im Dienst einer diakonischen Kirche beitragen. Jesus Christus repräsentiert, wer sich den Ärmsten der Armen annimmt (vgl. Mt 25,31-46), an die Ränder geht, sich verzehren lässt von der Not der Mitlebenden. Menschen ist zuzutrauen, dass sie im Heiligen Geist wahrnehmen, dass Jesus Christus ihnen begegnet, wenn ein Mensch – unabhängig vom Geschlecht – ihnen zuhört, sie tröstet, sie aufrichtet, sie heilt und im Leben orientiert.
Das 2. Vatikanische Konzil hat Grundlagen für die Erneuerung der Amts- und Sakramententheologie gelegt. Diese können das Fundament darstellen, um lehramtliche Argumentationsfiguren im Blick auf die Weihe von Frauen zu entkräften, die in den letzten Jahren ins Zentrum gerückt sind und die die sakramenten- und amtstheologischen Fragen mit der Geschlechteranthropologie verbinden. Zu gewichten ist dabei insbesondere die geistgewirkte Vergegenwärtigung des auferstandenen Christus in der Eucharistiefeier.
Ausgehend davon stellt sich die Frage, welchen theologischen Sinn die alttestamentlich grund- gelegte Braut-Bräutigam-Metaphorik enthält. Im Kern dient diese Metapher dem Anliegen des Monotheismus und des besonderen Verhältnisses zwischen JHWH und Israel: dass Israel nur einen Gott hat, so wie Braut und Bräutigam füreinander exklusiv sind. Entsprechend war die christlich adaptierte Braut-Bräutigam-Metaphorik nie eindeutig den jeweiligen Geschlechtern zugeordnet, sondern kennt gerade auch die umgekehrte Zuordnung: etwa in der Rede von der „anima eccle- siastica“ (Origenes, Bernhard von Clairvaux); von hier aus hat die Symbolik eine Tradition in der Mystik. Die typologische Rede von Bräutigam und Braut nun im Sinne von Rollen auf geweihte Amtsträger und Laien in den sakramentalen Vollzügen zu verteilen, erscheint allerdings fragwürdig. Die Berichte nicht weniger Betroffener von sexueller Gewalt und spirituellem Miss- brauch im Raum der Kirche (insbesondere Mädchen und Frauen) dokumentieren außerdem, dass ausgerechnet diese Geschlechtertypologie zum Einfallstor für Missbrauch geworden ist. Damit erbinden sich auch Anfragen an die genannten Aussagen von Papst Franziskus in Querida Ama- zonia 101.
Auch jenseits dieser Braut-Bräutigam-Metaphorik ist für Menschen, die sexualisierte Gewalt durch Priester erfahren haben, eine Deutung der Christusrepräsentanz, die sich auf das natürliche Geschlecht eines Amtsträgers bezieht, schwer erträglich. Es drängt sich die Frage auf: Soll es wirklich das Mannsein des Amtsträgers, seine körperliche Physis sein, die ihn qualifiziert, Jesus Christus in der Feier der Eucharistie angemessen zu repräsentieren? Sehr grundsätzlich muss jede spirituelle Überhöhung der Geschlechterdifferenz zum Zweck kirchlicher Rollenzuweisungen insbesondere im Rahmen der Ämtertheologie kritisch angefragt werden. Zu erinnern ist hier auch an die „Präsenz von starken und engagierten Frauen“, „die gewiss berufen und angetrieben vom Heiligen Geist, tauften, Katechesen hielten, den Menschen das Beten beibrach- ten und missionarisch wirkten“ (Querida Amazonia 99). Die Taufspendung gehört nach überein- stimmendem Zeugnis der traditionellen kirchlichen Lehre in gleicher Weise zu den apostolischen Aufgaben und Vollmachten wie die Konsekration in der Eucharistie. Frauen, die angetrieben vom Heiligen Geist taufen, handeln „in persona Christi“, der als Haupt der Kirche der eigentliche Taufspender ist (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Sacrosanctum Concilium 7). Sie handeln so auch priesterlich im Namen der Kirche. Wenn die Möglichkeit der Christusrepräsentanz bei der Taufspendung nicht an das männliche Geschlecht gebunden ist, warum sollte sie es beim Eucha- ristievorsitz sein?
5.3 Ekklesiologische Kontexte: Zur Verbindlichkeit der kirchlichen Lehrentscheidungen
Jede theologische Erkenntnis von Menschen steht unter dem Vorzeichen der Fehlbarkeit. Allein Gottes Geist bewahrt die Kirche in der Wahrheit. Wichtig ist daher vor allem, in einem kommu- nikativen Austausch eine gemeinsame Suchbewegung in einem geistlichen Prozess anzustrengen. In der theologischen Forschung wird über den Grad der Verbindlichkeit der lehramtlichen Äuße- rungen bezogen auf die Frage der Ordination von Frauen zu sakramentalen Diensten und Ämtern in der Kirche kontrovers geurteilt. Die Argumente bedürfen einer erneuten Prüfung und einer Bewertung nach argumentativ nachvollziehbaren Kriterien. Dabei ist die grundlegende Thematik der Dogmenentwicklung zu berücksichtigen. Zudem stellt sich in der wissenschaftlichen Theologie die Frage, welche Form der Sprachhandlung bei spezifischen lehramtlichen Texten gege- ben ist. Eine intensive Anstrengung, die Kriterien bei der Bestimmung der Grade der Verbind- lichkeit von kirchlichen Lehräußerungen zu unterscheiden, ist erforderlich.
Die römisch-katholische Lehrtradition kennt vier Formen von Äußerungen, denen das Attribut der Infallibilität (Freiheit von Irrtum) zuzugestehen ist: eine explizite Lehrmeinung des Bischofs von Rom unter expliziter Berufung auf seine Autorität („ex cathedra“ – Entscheidung), die Lehr- entscheide eines Ökumenischen Konzils aller Bischöfe, die übereinstimmende Lehrmeinung aller Bischöfe weltweit (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 25) und die Lehrmeinung der Gesamtheit aller Gläubigen (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 12). Bezüglich der Qualifizierung der vorliegenden Lehrtexte unter dem Vorzeichen ihrer Verbindlichkeit stellt sich die Frage, ob die von den Bischöfen unwidersprochen gebliebene Ankündigung von Ordinatio Sacerdotalis (1994) die Kriterien der dritten Form erfüllt. Zugleich stellt sich die Frage, was es bedeutet, wenn einzelne Bischöfe heute die Fragestellung im Ergebnis als offen betrachten und
vertiefte Argumentationen im Einklang mit der theologischen Forschung anmahnen. Johannes Paul II. bezieht sich bei seinen Ausführungen zudem auf die Überlegungen, es sei „definitive tenendam“ („als endgültig zu bewahren“), was zwar nicht aus der Offenbarung in der Schrift eindeutig hervorgehe, wohl aber zur Wahrung der biblischen Offenbarung notwendig erforderlich sei. Diese Auffassung wird in der theologischen Fachliteratur kontrovers besprochen. Ist es wirklich so, dass die Mitte der christlichen Botschaft, die Verkündigung des österlichen Glaubens, nur zu wahren ist, wenn Frauen von diesem Amt ausgeschlossen werden? Oder ist es nicht eher so, dass Frauen in den Ostererzählungen genau diesen Dienst tun und Jesus Christus als lebendig gegenwärtig bezeugen?
Es bedarf einer weltweiten gemeinsamen theologischen Anstrengung, die vielen Theologinnen und Theologen offenkundig erscheinende Diskrepanz zwischen der Inanspruchnahme der Überzeugung, die formulierten Lehrmeinungen seien letztverbindlich, und der von vielen Theologinnen und Theologen wahrgenommenen und in Fachbeiträgen bereits seit Jahrzehnten angesprochenen Schwäche der theologischen Argumentation möglichst zu beheben. Auf lange Sicht hin wird sich keine kirchliche Lehre als tragfähig und handlungsrelevant erweisen können, die im Widerspruch zu wissenschaftlichen – insbesondere bibeltheologischen – Erkenntnissen steht.
5.4 Hermeneutische Erkenntnisse in der weltweiten christlichen Ökumene
Im Bereich der Suche nach Glaubwürdigkeit ist auch der ökumenische Kontext der Thematik zu beachten. Die Römisch-katholische Kirche bekräftigt in nationalen, europäischen und weltweiten Dialogen stets ihre Bereitschaft, auf der Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche zu bleiben. Diese ist nicht zu begründen, wenn dabei nicht auch in theologischen Gesprächen ein fachlicher Austausch über die Argumente geschieht, die zu einer unterschiedlichen Positionierung in der Frage der Teilhabe am Apostolat (auch) von Frauen, in amtlicher Verantwortung durch die Ordination, geführt haben.
Konstitutiv für die ökumenische Zusammenarbeit ist nach Unitatis Redintegratio, dem Öku- menismus-Dekret des 2. Vatikanischen Konzils, die Bereitschaft zur Umkehr – und damit verbunden die Einsicht in die kontinuierliche Reformbedürftigkeit der Kirchen und ihre innere Angewiesenheit auf die komplementären Gaben und Werte der anderen Kirchen (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Unitatis Redintegratio 7). Die Vorgaben des Ökumenismusdekrets verwirklichen sich dementsprechend in der geistlich begründeten Reziprozität der unterschiedlichen christlichen Traditionen. In allen Fragen der kirchlichen Lehre und Praxis gilt es daher die ökumenische Perspektive einzubeziehen und für einen Lern- bzw. Reformprozess bereit zu sein.
Was bedeutet die Ökumenische Bewegung für die Beteiligung von Frauen an allen kirchlichen Ämtern in der Römisch-katholischen Kirche, wenn zahlreiche ökumenische Partner, die in ihrer Geschichte, in ihren Werten und ihrer Tradition ernstgenommen werden sollen, in den letzten Jahrzehnten die Frauenordination beschlossen haben? Kann der als für das Wesen der Kirche essentiell angesehene ökumenische Dialog diese Tatsache und diese Entwicklungen ausblenden?
Forderungen nach einer gerechten und geschwisterlichen Gemeinschaft von Frauen und Männern in den Kirchen wurden gerade im ökumenischen Kontext formuliert und immer wieder thematisiert. Frauen sollten ermächtigt werden, unterdrückende Strukturen in Gesellschaft und Kirchen
in Frage zu stellen. Dabei sollte die Anerkennung des wesentlichen Beitrags von Frauen in Kirchen mit dem Ziel gleicher Mitverantwortung und Mitgestaltung herausgestellt werden.
Die Ökumene hat die Frage nach Beteiligung von Frauen beharrlich auf die Agenda gesetzt und damit die Kirchen herausgefordert, patriarchale Strukturen zu reformieren und die bedeutende Rolle von Frauen in der Geschichte der Kirchen anzuerkennen. Das geschah auch unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse der feministischen Theologie und Exegese. Die Einführung der Frau- enordination in vielen Kirchen hat ökumenische Prozesse angestoßen.
5.5 Geschlechtergerechtigkeit im weltkirchlichen Kontext
Was in der Römisch-katholischen Kirche als gottgegebene Ordnung der Geschlechter betrachtet wird, wurde und wird – stärker als in der Gesellschaft insgesamt – kulturhistorisch betrachtet in hohem Maße von der jeweils vorherrschenden Umgebungskultur und insbesondere deren politischen Machtverhältnissen bestimmt.
Dies ist auch unter der Perspektive „Weltkirche“ festzustellen, die als „Ortskirche“ in der Ge- meinschaft vieler „Ortskirchen“ zu sehen ist. Als solche ist sie historisch wie aktuell von großen Ungleichzeitigkeiten in den unterschiedlichen Weltkontexten geprägt. Angesichts der sich beschleunigenden Globalisierung stellen interkulturelle Dynamiken, postkoloniale Anfragen, die Frage nach Gerechtigkeit und die Armutsschere die Ortskirchen vor große Herausforderungen. Entsprechend finden sich unterschiedlichste Antworten auf die Frage nach Geschlechtergerech- tigkeit in kirchlichen Kontexten. Es ist etwa festzustellen, dass Frauen weltweit einerseits einen wesentlichen Beitrag zur Tradierung des Evangeliums geleistet haben und leisten, andererseits aber in Geschichte und Gegenwart unsichtbar gemacht wurden und Gewalterfahrungen machen mussten und müssen. Gerade angesichts dieses Befundes hat die deutsche Ortskirche die Ver- antwortung, die Frage nach Frauen in kirchlichen Ämtern auch unter der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit im Gespräch zu halten.
Kirchliche Lehre beschreibt das Geschlechterverhältnis traditionell aus der Position der Kom- plementarität und begründet damit auch den Ausschluss von Frauen vom sakramentalen Amt. Das 2. Vatikanische Konzil fordert dagegen, „die grundlegende Gleichheit aller Menschen immer mehr zur Anerkennung“ zu bringen und „jede Form einer Diskriminierung“ zu beseitigen (2. Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes 29). Somit bestehen Anlass und Notwendigkeit, im Diskurs zum Geschlechterverhältnis Differenz und Gleichheit auch im theologischen Diskurs zur Geltung zu bringen und alle von Gott geschenkten Charismen und Berufungen unabhängig vom Geschlecht der Person wertzuschätzen und anzuerkennen.
5.6 Die Erfahrung der Berufung zum Dienstamt von Frauen
Nicht wenige Frauen erfahren sich von Gott zur Teilhabe an sakramentalen Diensten und Ämtern berufen. Viel beachtete Frauen in der Geschichte der Kirche haben über eine mögliche Berufung auch von Frauen im priesterlichen Amt nachgedacht – unter ihnen Theresa von Avila, Thérèse von Lisieux oder Edith Stein. Seit Generationen wissen sich viele Frauen von Gott zum Diakoninnen- oder Priesterinnenamt berufen. Diesem inneren Wissen steht die äußere Erfahrung entgegen, dass sich diese Frauen in ihrer Berufung von der Kirche und ihren Amtsträgern nicht genügend ernst genommen, zum Teil gar missachtet erfahren. Die von der kirchlichen Lehre verordnete Einschränkung ihrer Lebens- und Berufungsmöglichkeiten empfinden sie als Unrecht, als Diskriminierung und Ausgrenzung.
Über das Erleben einer existenziellen Begegnung mit Gott hat niemand zu urteilen. Berufung ist ein dialogisches Geschehen, das von Hören und Gehörtwerden geprägt ist – sowohl in der Bezie- hung Gott-Mensch als auch in der innerhalb der Kirche, die die sich als berufen Erfahrenen wahrnimmt. Das apostolische Schreiben Christifideles Laici (1988) von Papst Johannes Paul II. hebt die Bedeutung der verschiedenen Charismen als Gaben des Heiligen Geistes hervor. In der Kirche sei die dankbare Annahme der Charismen, aber auch ihre Unterscheidung notwendig:
„Das Urteil über ihre Echtheit und ihren geordneten Gebrauch steht bei ihnen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten.“ (Christifideles Laici 24). Unter der Perspek- tive der Geschlechtergerechtigkeit stellen sich grundlegende Fragen, die im Blick auf die Berufung aller Menschen in gleicher Weise gelten: Nach welchen Kriterien ist eine Berufungserfah- rung von Männern und Frauen zu prüfen? Wird ernst genommen, dass Frauen sich als von Gott angesprochen und gerufen wahrnehmen? Wird ihre Neigung, ihre innere Bereitschaft zur Nach- folge angehört und wertgeschätzt?
Dieses Wahr- und Ernstnehmen nicht nur der Berufungserfahrungen von Männern stellt einen wichtigen Schritt zur vollen Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche dar. Über die Ämtervergabe darf künftig nicht mehr das Geschlecht entscheiden, sondern die Berufung, die Fähigkeiten und die Kompetenzen, die der Verkündigung des Evangeliums in unserer Zeit dienen. Nur so wird das gesamte Potential von Berufungen und Charismen für das Volk Gottes, die Kirche, ausgeschöpft.
5.7 Christusrepräsentanz und Erneuerung der Ämtertheologie auf den Wegen des armen Jesus
Das kontroverse Gespräch über die Frage nach Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche ist nicht eine bloße Strukturfrage, es geht nicht um eine „Funktionalisierung“ des Amtes, so die von Papst Franziskus geäußerte Sorge (vgl. Querida Amazonia 100-101). Es geht bei der Frage nach Frauen im sakramentalen Amt um mehr: um ein erneuertes Verständnis dessen, was Kirche ist und um einen vertieften Zugang zur Sakramentalität, auch in einer ökumenischen Perspektive. Es geht um die Realisation eines Umkehrprozesses: je neu sich an dem auszurichten, was sich in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi ereignet hat. Die institutionelle Gestalt der Kirche hat sich zuallererst an diesem Umkehrprozess zu orientieren. Entscheidend für die Zukunft wird eine grundsätzliche Erneuerung der Amtstheologie sein – im Dienst der diakonischen Kirche. Es wird darum gehen, das Glaubensgeheimnis aus der Tiefe des Geheimnisses der Erlösung, die sich in Jesus Christus in seinen vielen Begegnungen auf den Wegen in Galiläa und nach Jerusalem ereignet hat und die für die Menschen Heilwerden, Ganzwerden und Leben bedeutet, heraus zu verstehen. Christusrepräsentanz „ereignet“ sich durch Erfahrung des Heils und in der Tiefe durch die der Eucharistie, auf die aber alle Wege der Nachfolge Jesu Christi bezogen sind und wo in Analogie zum Weg der Kenosis des göttlichen Logos der arme Jesus (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 8) sakramental vergegenwärtigt wird: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in
Christus Jesus“ (Gal 3,28). Die Repräsentanz Christi erschließt sich in Entsprechung zum kom- munikativen Offenbarungsverständnis als ein soteriologisch orientiertes sakramentales Gesche- hen. Die traditionelle substanzontologische Repräsentanz Jesu Christi und ein sacerdotal-kultisches Amtsverständnis werden aufgebrochen, und in dieser soteriologischen Perspektive spielt das Mann-Sein Jesu Christi keine Rolle. So kann die Kirche zu einer geschwisterlichen und partnerschaftlichen Kirche werden, die Männer und Frauen in gleicher Weise in die Nachfolge Jesu Christi beruft. So stehen die Reflexionen im Hinblick auf Frauen im (sakramentalen) Amt grund- sätzlich im Dienst einer Reform des kirchlichen Amtes – gerade im Sinn einer Kritik am „Klerikalismus“, den auch Papst Franziskus immer wieder als Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Kirche betont.
6. Rückblick auf die Argumentation und Perspektiven
6.1 Rückblick auf die Argumentation
Im weltkirchlichen Kontext der Römisch-katholischen Kirche ist die Anstrengung der theologi- schen Argumentation eine notwendige Voraussetzung für ein Gespräch mit den gegenwärtigen Autoritäten, die eine Veränderung der Rahmenbedingungen kirchlichen Handelns bewirken kön- nen. Auch im ökumenischen Dialog mit Kirchen, die oft nach langem Ringen in unserer Thematik inzwischen zu anderen Einsichten als die Römisch-katholische Kirche gefunden haben, ist es erforderlich, sich in Dialoge über begründete Positionierungen zu begeben. Zugleich gibt es weitere Orte der Erkenntnis als die der theologischen Wissenschaft. Erfahrungen sind ein Anstoß zur Veränderung und Erneuerung. Die „Zeichen der Zeit“ sind ein Ort der Erkenntnis. Wache Aufmerksamkeit auf Grundüberzeugungen in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit ist mehr als anzuraten. Diese hermeneutischen Überlegungen, die im Orientierungstext ausgeführt sind, finden bei der vorliegenden Argumentation Beachtung. Zugleich gilt es, konkrete Aspekte der The- matik in den Blick zu nehmen.
Die Leitlinien der hier vorgetragenen Argumentation lassen sich in folgender Weise zusammen- fassen:
Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche ist ein wesentlicher Prüfstein einer glaubwürdigen und wirksamen Verkündigung des Evangeliums an alle Menschen. Nicht erst das 2. Vatikanische Konzil und in seiner Folge die Würzburger Synode betonen in biblischer Tradition, dass die Kirche als Ganze berufen ist, die Sendung Jesu Christi fortzusetzen. Alle sollen dies auf ihre Weise und für ihren Teil verwirklichen (vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium 31). Deshalb gilt, dass „alle berufen sind, in Wort und Tat für die Botschaft Jesu Christi einzutreten“ (Würzburger Synode, Laienverkündigung 2.1). Alle Getauften verbindet die gemeinsame Aufgabe und Verant- wortung, „uns und den Menschen, mit denen wir leben, «Rechenschaft zu geben über die Hoff- nung, die in uns ist» (1 Petr 3,15)“ (Würzburger Synode, Unsere Hoffnung, Einleitung).
In jeder historischen Epoche haben sich herausragende Frauen mit prophetischem Mut für die Menschenrechte eingesetzt. Auch heute leben weltweit ungezählte Frauen als Mütter, Ordens- frauen, Theologinnen, geistliche Begleiterinnen und in anderen Lebensformen das Evangelium in Wort und Tat. Eine Unterscheidung zwischen Diakonat und den weiteren Formen des sakra- mentalen Amtes ist historisch nachweisbar. Der Blick in die Weltkirche zeigt: Es sind mit großer Mehrheit Frauen, die sich pastoral engagieren und die bereit sind, leitende Verantwortung zu übernehmen.
Für den Ausschluss von Frauen aus der amtlichen Verkündigung des Evangeliums gibt es keine ungebrochene Traditionslinie. Neben vermeintlich eindeutigen Aussagen im Mainstream der the- ologischen Tradition zu Ungunsten von Frauen gab es immer auch gegenläufige Entwicklungen. Sie brachten neue Sichtweisen und Antworten auf die Anforderungen der jeweiligen Zeit und Kultur mit sich. Frauen waren daran maßgeblich beteiligt.
Der neue Blick auf die Ämter in den biblischen Texten und der Ansatz bei der fundamentalen Gleichheit aller Glaubenden bedeutet, die Frage nach dem Zugang von Frauen zum sakramen- talen Amt in den Kontext der grundlegenden Erneuerung der Ämtertheologie zu stellen. Die Frage nach der Christus-Repräsentation ist von der Frage nach der natürlichen Ähnlichkeit mit einem Mann zu unterscheiden. Jesus Christus ist gegenwärtig, wenn Menschen in seinem Geist handeln.
Konturen einer geschlechtergerechten Kirche zeigen sich dort, wo sich alle als eine Gemein- schaft von Gleichgestellten in der Nachfolge Jesu verstehen: In ihr gibt es keine Diskriminierung und kein Machtgefälle durch Statusfragen. Alle suchen auf Augenhöhe nach der Wahrheit. Auch Visionärinnen und Prophetinnen werden gehört. Die Worte Jesu: „Bei euch aber soll es nicht so sein“ (Mk 10,43), sind Ansporn, in diese Hoffnung Zeit, Kraft und Ausdauer zu investieren.
6.2 Perspektiven
Auf die Frage nach der Relevanz des christlichen Glaubens wird es immer „so viele konkrete Antworten geben, wie es Gestalten lebendigen Christentums unter uns gibt“ (Würzburger Synode, Unsere Hoffnung, Einleitung). Immerzu geht es um die Vermittlung der „provozierenden Kraft unserer Hoffnung […] auch für alle, die sich schwertun mit dieser Kirche, für die Beküm- merten und Enttäuschten, für die Verletzten und Verbitterten“ (Würzburger Synode, Unsere Hoffnung, Einleitung).
Die Erneuerung der Kirche „erschöpft sich nicht in einzelnen synodalen Reformmaßnahmen“ (Würzburger Synode, Unsere Hoffnung, Teil II,4). Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob allein durch die Integration von Frauen in die bisherigen kirchlichen Ämter und Dienste dem Anspruch des christlichen Evangeliums schon zur Genüge entsprochen wird. Ist unser „kirchliches Leben nicht selbst viel zu verdunkelt und verengt von Angst und Kleinmut, zu sehr im Blick auf sich selbst befangen, allzu sehr umgetrieben von der Sorge um Selbsterhaltung und Selbstreproduk- tion […]?“ (Würzburger Synode, Unsere Hoffnung, Teil I,8).
Der Beitrag von Denkerinnen außerhalb des Mainstreams gehört wesentlich zur christlichen Tradition und muss sichtbar gemacht werden, um der zunehmenden Komplexität unserer Lebenswelt Rechnung tragen zu können. Der Diskurs verändert sich, wenn Frauentraditionen und deren Wahrnehmung von Wirklichkeit als Gott-Mensch-Welt-Beziehung selbstverständlicher Teil des Erscheinungsbilds auch der Römisch-katholischen Kirche sind. Kontroversen müssen ausgetragen werden. Praktiken, die Menschen verletzen, sind zu beenden.
Eine am Evangelium orientierte und dem Menschen zugewandte Kirche wird im Vertrauen auf die Gegenwart des Geistes Gottes Mut zu Neuem haben. Die Transformationsprozesse, in denen sich die kirchliche Pastoral und die öffentliche Bedeutung von Kirche derzeit weltweit befinden, lassen Ausschau halten nach kreativen Ideen, wie das Evangelium alle Menschen erreichen und verwandeln kann: Gott sagt dem Menschen sein Erbarmen trotz aller Schuld und vor jeder eigenen Leistung auf ewig zu.