Das Kirchenrecht ist ein Handeln der Kirche, deren Seele der Heilige Geist ist. Papst Paul VI legte in der folgenden Ansprache den Rechtsgelehrten nahe, dem Geist des Konzils und damit dem Heiligen Geist im Kirchenrecht Ausdruck zu verleihen. Das wurde leider im neuen Kirchenrecht im Jahre 1983 nicht oder nur in sehr geringer Weise umgesetzt.
Ansprache Pauls VI vom 17. September 1973 an die Teilnehmer des II. Kongresses für Kanonisches Recht in Mailand
(OR Nr. 213 vom 17./18. September 1973)
(Der italienische Text der Ansprache wurde übersetzt von Lic jur can. Heinz Maritz, München.)
Wir empfangen Sie mit herzlicher und tiefer Hochachtung; Uns bewegt Ihr Gedanke, am Ende ihres II. Internationalen Kongresses, der vergangene Woche unter den Auspizien der Katholischen Universität Sacre Cuore in Mailand stattgefunden hat, eigens zu dieser Audienz nach Rom zu kommen. Wir danken dem verdienten Professor O r i o G i a c c i für seine edlen Worte, die er Uns hat zukommen lassen und die Zeugnis gegeben haben von dem Geist, mit dem das Organisationskomitee und Sie alle, verehrte Wissenschaftler, diese so wertvolle und repräsentative Begegnung mit Leben erfüllt haben. Diese Begegnung fügt sich würdig an jene vom Jahr 1970[1], die Wir noch lebhaft in Erinnerung haben. Eine lobenswerte Erwähnung verdient die italienische Katholische Universität – an ihr werden die juristischen Studien besonders gepflegt -, die Förderung und Gastfreundschaft angedeihen ließ einer so wertvollen Initiative, die dem eindrucksvollen Kreis derjenigen, die sich der Pflege des kanonischen Rechts widmen, zur Ehre gereicht.
Wir danken Ihnen für Ihre Anwesenheit: nicht allein wegen des persönlichen Trostes, den sie Uns gibt, sondern vor allem wegen der ganz besonderen Bedeutung, die sie, objektiv gesehen, in sich selbst hat.
I.
Kanonisches Recht und theologische Wissenschaften
Wie Sie wissen, haben übelwollende Meinungen einen Schatten des Argwohns auf das Recht der Kirche geworfen. Manche denken, dass die Kirche als sichtbare Gesellschaft nichts zu tun haben dürfe mit einem eigenen Recht …; andere hingegen haben im Lichte des II. Vatikanischen Konzils nicht gesehen, dass dieses Recht gerade im Geheimnis der Kirche zutiefst verwurzelt ist. Dagegen steht Ihr Zeugnis als Fachleute internationalen Ranges, das beweist, welche Wichtigkeit dem Rechte in diesem besonderen Augenblick nach Abschluss des II. Vatikanischen Konzils im Leben der Kirche und der Welt zukommt. Es beweist auch, mit welcher Aufmerksamkeit die intensive Arbeit verfolgt wird, die für die Revision und Reform eben dieses Rechtes im Gange ist.
Das Studium des kanonischen Rechtes ist, wie Wir an anderer Stelle bestätigt haben, notwendig, weil es einen Zugang zum konkreten Leben der Kirche darstellt; durch erneuerte oder andere völlig neu geschaffene Institutionen, die ihre Funktionstüchtigkeit durch die Erfahrung beweisen müssen, muss der Geist des Konzils zum Ausdruck kommen und zu praktischer Verwirklichung gelangen. Daher haben wir Ihnen anlässlich des schon erwähnten I. Internationalen Kongresses gesagt, dass das Konzil mit der Vertiefung der Lehre von der Kirche und mit dem Herausstellen des ihr eigenen mystischen Aspektes „den Kanonisten verpflichtet, tiefer in der Hl. Schrift und in der Theologie nach der Begründung der eigenen Wissenschaft zu suchen (AAS 62 [1970] 108). Das kanonische Recht kann nach dem Konzil nur in einer immer engeren Beziehung mit der Theologie und den anderen theologischen Disziplinen gesehen werden, weil auch es selbst eine theologische Wissenschaft darstellt; es ist sicherlich nicht jene „ars practica“, wie einige es haben möchten, deren alleinige Aufgabe darin bestünde, die zu ihm gehörenden theologischen und pastoralen Schlussfolgerungen in juridische Formel zu kleiden. Mit dem II. Vatikanischen Konzil ist jene Zeit endgültig vorbei, da sich gewisse Kanonisten sich weigerten, den theologischen Aspekt der von ihnen vertretenen Disziplinen oder der von ihnen angewandten Gesetze in Betracht zu ziehen. Heute ist es unmöglich, Studien des kanonischen Rechts ohne ernsthafte theologische Bildung anzustellen. Was die Kirche von ihren Priestern verlangt hat, kann auch von den Laien gefordert werden, die sich dem Studium oder der Lehre ihres Rechts widmen oder die berufen sind, es in der Rechtsprechung oder in der Organisation der kirchlichen Gemeinschaft zur Anwendung zu bringen. So ergibt sich mit dringender Notwendigkeit eine innige Beziehung zwischen kanonischem Recht und Theologie; die Zusammenarbeit von Kanonisten und Theologen muss enger werden; kein Bereich der Offenbarung darf unbeachtet bleiben, wenn das Geheimnis der Kirche, deren institutioneller Aspekt von ihrem Stifter gewollt ist und wesensgemäß zu ihrem zutiefst sakramentalen Charakter gehört, im Glauben Ausdruck und Vertiefung finden will (vgl. Lumen Gentium 1,1)
II.
Person und Ordnung in der Kirche
Die enge und gegenseitige Durchdringung von Theologie und Recht ist übrigens gut zum Ausdruck gebracht durch das Thema Ihres Kongresses: „Person und Ordnung in der Kirche“. Sie haben es in all seinen Aspekten betrachtet; sehr zu Recht, weil es – außer dass es mitten in eine gerade heute stark empfundene Problematik eindringt – auch noch Grundprinzipien der Offenbarung und des Lehramtes in Erinnerung bringt: bei diesen Prinzipien möchten Wir mit Ihnen einen Augenblick verweilen.
1. Zunächst die menschliche Person. Ihr kommt ein Höchstmaß von Würde und Freiheit zu, insofern der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist, wie die ersten großartigen Seiten der Hl. Schrift bezeugen. Als Ebenbild Gottes erfreut sich der Mensch wirklich einer sich selbst bestehenden geistigen Natur, die ein ontologisches Ganzes bildet, das offen ist für das Wahre, das Gute und das Schöne. Dies sucht der Mensch, um seine Vollkommenheit zu erreichen, bis er sie in Gott, dem absoluten Wahren, Guten und Schönen, findet, wo schließlich sein unruhiges Herz Ruhe findet (vgl. Augustinus, Conf.1.1). Deswegen ist für Uns der Mensch als Person Gipfel der ganzen Schöpfung.
Darin liegt die Wurzel seiner großen Würde, die in seiner Geistigkeit und in seiner Freiheit als Person erstrahlt, so dass der Mensch niemals als ein bloßes Instrument betrachtet werden kann, das der Nützlichkeit anderer zu dienen hat, was die heutige technologische und politische Einstellung bisweilen leider zu ignorieren scheint, wenn sie Werte und Rechte des menschlichen Geistes in Vergessenheit geraten lässt. Außerdem begründet die Person das soziale Leben, in dem sich eben diese Person entfaltet und integriert; ja, wirklich soziales Zusammenleben ist nicht möglich, wenn man nicht anerkennt, dass sein Fundament und sein Ziel eben die menschliche Person ist. Der Mensch ist nicht Person durch die Tatsache, dass er sozial ist, sondern er ist sozial, weil er Person ist; die sozialen Beziehungen sind nichts anderes als Beziehungen zwischen Personen, dazu bestimmt, das Gemeinwohl zu schaffen; daher verlangt das soziale Leben eine Ordnung und eine Autorität, die dazu bestimmt ist, diese Ordnung zu gewährleisten; beide sollen die Ausübung der Freiheit und die friedliche Entfaltung der Person als Ganzem, die sich in harmonischer Weise in die Gesellschaft einfügt, sicherstellen.
2. Die Kirche als übernatürliche Gemeinschaft. In welcher Beziehung steht der Mensch als Person zur Kirche? Wenn diese eine religiöse, mehr noch, eine übernatürliche Gemeinschaft ist, wie kann sie in sich institutionelle Elemente enthalten? Sind nicht die Beziehungen zu Gott so innig, persönlich, unwiederholbar, dass sie mit einer äußeren Organisation unvereinbar sind? Dies sind die Fragen oder besser die Herausforderungen, die man heute öfter hören kann. Die Antwort wurde bereits durch Papst Pius XII gegeben, der in der Enzyklika „Mystici Corporis“ unterstrich, dass die Kirche nicht allein aus einer äußeren Organisation bestehe, sondern sich des Lebens Christi als ihres eigenen inneren Lebens erfreue, da sie ein „internum principium“ besitze, d. h. „aliquid non naturalis, sed superni ordinis, immo in semetipso infinitum omnino atque increatum: Divinus nempe Spiritus, qui, ut ait Angelicus (De Veritate q. 29, a. 4, c), ‚unus et idem numero, totam Ecclesiam replet et unit‘“ (ASS 35 [1943] 222.
Das II. Vatikanische Konzil hat diese großen Ideen weiterentwickelt in Folge jener tiefen Besinnung auf die Wirklichkeit der Kirche, wie sie die Ekklesiologie dieser Jahrzehnte darstellte. Schon am Anfang der Konstitution „Lumen Gentium“ stellte das Konzil die Kirche als Mysterium des Heils vor, da sie, wie Wir schon angedeutet haben, „in Christo veluti sacramentum seu signum et instrumentum intimae cum Deo unionis totiusque generis humani unitatis“ ist (Lumen Gentium 1,1). Sakrament der Einheit und des Heils der Menschen: denn die Kirche stellt sich als einzige Wirklichkeit dar, die gleichzeitig aus einem inneren und äußeren Element besteht, um ihre Sendung in der Welt zu erfüllen. Sie ist der soziale Leib Christi und hat als Seele den Hl. Geist, der diesen Leib formt und ihn in zweifacher sozialer Beziehung bereichert. Vor allem sichert die Kirche für ihre Glieder die Verbindung mit Gott und die übernatürliche Wirksamkeit ihres Handelns. Sie bildet daher, belebt vom Hl. Geist, den mystischen Leib; in diesem Volke Gottes verwandelt der Geist die Menschen in Kinder der Herrlichkeit, lässt sie rufen: Abba – Vater (vgl. Röm 8,15) und belebt ihr Handeln.
Deswegen ist die Verfassung der Kirche zugleich pneumatisch und institutionell: die Kirche ist Geheimnis des Heils, sichtbar gemacht durch die Verfasstheit als wirkliche menschliche Gemeinschaft und durch ihre Aktivität nach außen. So vereinigen sich in der Kirche als menschlich-sozialer Vereinigung die Menschen in Christus und durch ihn mit Gott, wobei sie dadurch das Heil erlangen; der Hl. Geist ist in ihr gegenwärtig und in der ganzen Spannweite ihres Lebensbereiches wirksam. Das heißt, die Kirche als Institution ist gleichzeitig ihrem innersten Wesen nach geistlich, übernatürlich.
Folglich haben Rechte und Pflichten in der Kirche einen übernatürlichen Charakter: wenn die Kirche nach einem göttlichen Plan gebaut ist – Ekklesia de Trinitate -, müssen ihre Institutionen, die immer vervollkommnet werden können, errichtet sein zu dem Zweck, die göttliche Gnade zu vermitteln und nach den Gaben und der Aufgabe eines jeden das Heil der Gläubigen zu fördern; dies ist der wesentliche Zweck der Kirche. Dieser soziale Zweck, das Heil der Seelen, die „salus animarum“, bleibt das oberste Ziel der Institutionen, des Rechtes und der Gesetze. So wird das allgemeine Wohl der Kirche zu einem göttlichen Geheimnis, dem Geheimnis des Lebens aus der Gnade, dass alle Christen, die gerufen sind, Kinder Gottes zu sein, in der Teilhabe am dreifaltigen Leben leben: Ekklesia in Trinitate. In diesem Sinne hat das zweite vatikanische Konzil von der Kirche auch als „communio“ gesprochen (vgl. Lumen Gentium 4,9,13 usw.), und hat so das geistliche Fundament des Rechtes in der Kirche und seine Hinordnung auf das Heil des Menschen ins rechte Licht gerückt; das Recht wird also in dieser Struktur der Gemeinschaft und der Gnade für den gesamten Leib der Kirche ein Recht der Liebe.
3. Die menschliche Person in der Kirche als Gemeinschaft. Um in dieser „communio“ eingefügt werden zu können, ist es vor allem notwendig, den Geist Christi zu besitzen: si quis autem Spiritum Christi non habet, hic non est eius (Röm 8,9; vgl. Lumen Gentium 14). Vor allem das sakramentale Leben verleiht den Gläubigen den Hl. Geist, besonders durch den Taufcharakter, der in wirklicher und wirksamer Weise den Getauften mit Christus vereinigt, damit er Kraft dieser Vereinigung und Gleichgestaltung nicht nur für sein eigenes Heil, sondern auch für das anderer wirken kann. Die sakramentale Vereinigung mit Christus, den Mittler und Haupt des neuen Bundes, zeigt sich als Fundament der Persönlichkeit in der übernatürlichen Ordnung. So erreicht die menschliche Person gerade in der Kirche ihre volle Würde, weil der Getaufte in wirksamer Weise nach dem dreifaltigen Gott streben kann, der ja sein letztes Ziel ist, auf den er hingeordnet ist zu dem Zweck, an seinem Leben und an seiner unendlichen Liebe teilzuhaben. Die neue Freiheit des Getauften – libertas gloriae filiorum Dei (Röm 8,21) – eignet der menschlichen Person, die jedoch in außergewöhnlicher Weise überhöht ist, insofern sie, wenn sie diese Freiheit gebraucht, nicht nur nicht mehr dem Gesetz der Sünde und der ungeordneten Natur unterworfen ist, sondern, erleuchtet und gestärkt durch den Hl. Geist auf ihrem Wege zum dreifaltigen Gott vorwärtskommen kann.
Diese Freiheit konkretisiert sich in den fundamentalen Rechten der übernatürlichen Ordnung mit Bezug auf die übernatürlichen Güter; da aber die Getauften nicht nur innerlich, sondern auch in sozialer Hinsicht mit Christus verbunden sind, indem sie in ihm einen einzigen Leib bilden, so erhält die ecclesiale Liebe, die Vereinigung der Menschen als Brüder, im Bereich der in der Kirche bestehenden „communio“ Zeichenwert. Dies bedeutet, dass sich das christliche Leben in dieser „communio“ entfalten muss; die fundamentalen Rechte der übernatürlichen Ordnung sind dazu bestimmt, in der Kirche erworben und ausgeübt zu werden; ihnen entsprechen bestimmte Pflichten, wie jene fundamentalen Pflichten, den Glauben der Kirche zu bekennen und die Sakramente und die hierarchische Verfassung der Kirche anzuerkennen. Die sakramental verliehenen Wirklichkeiten sind dazu bestimmt, sich in der Kirche zu verwirklichen; die „communio“ ist als Vereinigung der Getauften eine geistliche Wirklichkeit, die sich aber auf soziale Weise darstellt; die Getauften bilden in Christus eine Einheit, weil sie mit ihm durch den Hl. Geist verbunden sind, der ihnen auf sakramentalem Wege mitgeteilt wurde. Aktionsprinzip dieser geistlich-sozialen Verbundenheit ist der Geist, der alles zur Auferbauung des Leibes Christi wirkt.
4. Die hierarchische Gemeinschaft. Die kirchliche „communio“ kann aber weder auf sozialer Ebene existieren noch bestimmenden Einfluss auf das christliche Leben haben, wenn sie nicht durch den hierarchischen Dienst des Wortes, der Gnade und der pastoralen Führung begründet ist und dadurch Ordnung und Friede gewährleistet sind. Daher ist es Sache der hierarchischen Gemeinschaft, geschaffen und gestaltet durch den Geist Christi, dafür besorgt zu sein, dass Ordnung und Friede tatsächlich herrschen, dass die Einheit der „communio“ erhalten bleibe und dass sich ihr Leben entfalte, und zwar in der Weise, ein – auch missionarisches – Zeugnis für Christus zu geben.
Die gleiche „communio“ der Kirche ist hingeordnet auf die Auferbauung des sozialen Leibes Christi. Daher verlangt die der Kirche Christi anvertraute Aufgabe für ihre Erfüllung auch die Mitarbeit aller Gläubigen; im übrigen obliegt der hierarchischen Gemeinschaft die Ausübung der ihr eigenen Aufgaben, die jedoch nicht dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen zukommen, insofern diese weder Sendung noch Vollmacht noch die mit ihnen in besonderer Weise verbundene Gabe des Geistes eigens empfangen haben. Der oberste Hirte der Kirche repräsentiert die Gesamtkirche, da er der ganzen „communio“ von Hirten und Gläubigen Christus repräsentiert; aus dem gleichen Grunde repräsentiert der Bischof die Teilkirche, der er als Haupt vorsteht.
Die hierarchische Gemeinschaft wird jedoch, wie Wir gesagt haben, durch die Gabe des Hl. Geistes selbst konstituiert; durch diese Gabe wirkt sie vor allem dadurch, dass sie die Sendung Christi ihrem ganzen Umfang nach fortführt. Deshalb geht auch alles, was um der Sicherung von Ordnung und Frieden in der Gemeinschaft der Christen willen angeordnet wird – wie das kanonische Recht im äußeren Bereich -, letztlich aus dem Geiste und schafft deshalb keinen Nachteil für die Freiheit und die Würde der menschlichen Person, vielmehr stärkt und verteidigt es diese.
5. Einheit des objektiven und charismatischen Wirkens des Geistes. Die Gabe des Geistes, die allen Getauften mitgeteilt wurde, ist das Fundament sowohl für die Freiheit der Kinder Gottes in Ausübung ihrer Rechte in der Kirche als auch für die charismatischen Gaben, die Er den Gläubigen direkt verleiht. Der Mensch als Geist begabtes Wesen ist in seinem Bewusstsein immer direkt auf Gott hingeordnet und findet seine eigene Vollkommenheit nur in Gott. Die Gabe des Geistes erhebt diese fundamentale und ontologische Beziehung zu Gott auf eine übernatürliche Ebene; und da die Gläubigen in der Kirche eine einzige Gemeinschaft mit Christus bilden, die sich in institutioneller und sozialer Zeichenhaftigkeit entfaltet, ist es wieder die Gabe des Geistes, die die Persönlichkeit, die Würde, die Freiheit, die Rechte des Getauften auf eine übernatürliche Ebene erhebt. Stets die gleiche Gabe eint die Gläubigen in einer wechselseitigen Liebesbeziehung, so dass ihre Stellung innerhalb der „communio“ von sich aus jeden egozentrischen und individualistischen Charakter ausschließt. Von da auch – ein Hinweis soll genügen – der Wert der Verantwortlichkeit, die den einzelnen in der sozialen Ordnung der Kirche zukommt, eine Verantwortlichkeit, die sicherlich nicht ermächtigt zu einer Freiheit, verstanden als Befreiung von Autorität und Norm, sondern die sich zu einem freien Sich-Hinschenken verpflichtet, d. h. zu einer höheren Anforderung sich selbst und den anderen gegenüber. Die leitenden Prinzipien für die Revision des CIC tragen diesen theologischen Voraussetzungen Rechnung und zielen auf Rechtsschutz für die Rechte der einzelnen Gläubigen wie auch eines jeden Menschen als solchen. Der neue Kodex wird dem Gesagten sicherlich entgegenkommen; mit dieser Forderung darf man jedoch nicht die Pflicht abschwächen, die den Hirten obliegt, in wirksamer Weise für das allgemeine Wohl der eigenen Gemeinschaft und letztlich für das Heil der Menschen zu sorgen.
Die Hierarchie der mit dem obersten Hirten in Gemeinschaft verbundenen Hirten ist Werkzeug des Herrn durch die Tatsache, dass der Herr selbst objektiv in ihrem Dienst durch seinen Geist wirkt. Deshalb wäre es abwegig, allein das als Wirken des Geistes anzusehen, wenn er an die einzelnen seine besonderen Charismen austeilt. Der Hl. Geist hat die Apostel dazu eingesetzt, die Kirche Gottes zu regieren (vgl. Apg 20,28; Joh 16,13). Das Charisma darf nicht dem „munus“ in der Kirche entgegengesetzt werden, weil es derselbe Geist ist, der in erster Linie in dem und mittels des „munus“ wirkt. Aus diesem Grunde sind alle Glieder der Kirche gehalten, in ihr die Forderung nach einer Ordnung anzuerkennen; wenn diese fehlte, so könnte die „communio“ in Christus weder sozial verwirklicht werden noch in wirksamer Weise handeln. Der hl. Paulus selbst findet die Ausübung der Charismen an die in der Kirche bestehende Ordnung (vgl. 1 Kor 14,37-40). Und in der Tat kann sich der Hl. Geist nicht selbst widersprechen: In dem Maße er die Charismen verleiht, in dem Maße sind diese seiner Wirksamkeit durch das „munus“ unterstellt. Wie das Konzil treffend gesagt hat: „der eine Geist ist es, der seine vielfältigen Gaben zum Nutzen der Kirche austeilt“ (Lumen Gentium 7). Deswegen sind alle institutionellen und rechtlichen Elemente heilig und geistlich, weil sie belebt sind vom Hl. Geist. In Wirklichkeit bilden der „Geist“ und das „Recht“ in eben ihrer Quelle eine Einheit, in der das geistliche Element bestimmend ist; die Kirche des „Rechts“ und die Kirche der „Liebe“ sind eine einzige Wirklichkeit. Äußeres Zeichen ihres inneren Lebens ist die rechtliche Gestalt. Und daher ist es ganz klar, dass diese Einheit bei der Ausübung jedes „officiums“ und jeder Vollmacht in der Kirche gewahrt werden muss, weil jede Tätigkeit der Kirche dergestalt sein muss, dass sie das geistliche Leben zutage treten lässt und fördert. So soll man von der kanonischen Gesetzgebung wie von jeder anderen äußeren Tätigkeit der Kirche sagen, dass sie, wenn sie auch menschliches Tun ist, vom Geist geleitet sein muss. Die Polarität zwischen der geistlich-übernatürlichen und der institutionell-juridischen Eigenart der Kirche, weit davon entfernt, Quelle von Spannungen zu werden, ist immer ausgerichtet auf das Wohl der Kirche, die innerlich belebt und äußerlich besiegelt ist vom Hl. Geiste. Dies ist umso richtiger, wenn man daran denkt, dass das institutionell-juridische Überwiegen der Kirche im äußeren Bereich und in der hierarchischen Ordnung einem Überwiegen der geistlich-übernatürlichen Ordnung in den Seelen der Gläubigen, denen allen die höchsten Grade der Gnadenordnung offenstehen, keine Hindernisse bereitet, dieses vielmehr schützt fördert und erhebt. Auf der Stufenleiter der Gnade sind die ersten die Kleinen (vgl. Mt 18,3-4; 19,14); deshalb haben die Armen, die Leidenden, die, die reinen Herzens sind, die ersten Plätze bei der Selig- und Heiligpreisung; ja, so lehrt uns der Herr, „Zöllner und Dirnen werden eher ins Reich Gottes kommen als ihr“, wenn sie in Glauben und Buße auf ihre Berufung besser geantwortet haben (vgl. Mt 21,31). Die hierarchische Kirche anerkennt z-B. diese Überlegenheit der Gnade und der Heiligkeit in der Heiligsprechung ihrer besten Söhne, der auserwählten, wen auch demütigen Gläubigen.
III
Für eine Theologie des Rechts
Kehren wird deshalb zu dem zurück was Wir am Anfang gesagt haben: Heute ist eine Theologie des Rechtes notwendig, die all das aufnimmt, was die göttliche Offenbarung über das Geheimnis der Kirche aussagt. In den verschiedenen Aspekten, in denen die Person und die Ordnung in der Kirche zum Ausdruck kommen, ist das verborgene doch nach außen in Erscheinung tretende Wirken des Geistes gegenwärtig; und dieses Wirken muss den Gegenstand Ihrer Überlegungen bilden. Wie wir neulich unterstrichen haben, müssen der Christologie und der Ekklesiologie des Konzils als unabdingbare Ergänzung zur Lehre des Konzils ein neues Studium und eine erneuerte Verehrung des Hl. Geistes folgen (vgl. Ansprache in der Generalaudienz vom 6. Juni 1973; OR 7. Juni 1973). Wir möchten auch die Kanonisten einladen, sich an dieser Anstrengung zu beteiligen. Die vom Konzil vollendete Arbeit fordert eine Theologie des Rechts, die die bereits vom Konzil selbst angefangene Anstrengung nicht nur vertiefen, sondern vervollkommnen soll.
Was das Recht der Kirche sein Fundament in Jesus Christus hat, wenn es Zeichencharakter des inneren Wirkens des Geistes besitzt, muss es deswegen das Leben des Geistes ausdrücken und fördern, die Früchte des Geistes hervorbringen, Werkzeug der Gnade und Band der Einheit sein; von den Sakramenten freilich ist es zu unterscheiden, ist diesen vielmehr untergeordnet, da sie göttlichen Ursprung sind. Das Recht bestimmt die Einrichtungen, ordnet die Erfordernisse des Lebens durch Gesetze und Dekrete, vervollständigt die Wesenszüge der rechtlichen Beziehungen zwischen den Gläubigen, Hirten und Laien, mittels seiner Normen, bei denen es sich je nachdem um Ratschläge, Ermahnungen, Verhaltensregeln zur Vollkommenheit, pastorale Anweisungen handelt. Das Kirchenrecht auf eine starre Ordnung von Befehlen zu beschränken, hieße dem Geist, der uns in der Einheit der Kirche zur vollkommenen Liebe führt, Gewalt antun. Ihre erste Sorge wird also nicht darin bestehen, eine Rechtsordnung aufzustellen, die allein dem Zivilrecht nachgebildet ist, sondern darin, das Wirken des Geistes zu ergründen, das auch im Recht der Kirche seinen Ausdruck finden muss.
Verehrte Gelehrte! Wenn Ihr Kongress auch beendet ist, so ist Ihre Arbeit nicht zu Ende; diese wird intensiver aufgenommen; sie wird erhellt durch die von Ihnen unternommenen erläuterten Forschungen und vor allem angeregt von den Anforderungen des Geistes, der in der Kirche wirkt, wie Wir ihnen erklären wollten, um Sie an unseren Sorgen teilhaben zu lassen. Und Wir sind sicher, dass Sie diese herzlichen Wünsche zu den Ihren machen, die Wir aussprechen für das große Werk der Erneuerung des kirchlichen Rechts, für seine enge Verbindung mit der Theologie und für seinen Fortschritt im Leben der Kirche.
In dieser frohen Zuversicht segnen Wir Sie alle im Namen des Herrn, indem Wir auf Sie und Ihre Lieben die Überfülle göttlicher Gnaden herabrufen.
Quelle: Archiv für Katholisches Kirchenrecht (AAS). Mit besonderer Rücksicht auf die Länder deutscher Zunge. Herausgegeben von Klaus Mörsdorf. 142. Band, Jahrgang 1973. Verlag Kirchheim & Co GmbH., Mainz/Rhein. S. 463-471. (Die ß habe ich an die neue Rechtschreibung angepasst)
[1][1] Vgl. AAS 62 (1970) 108.